15. Dezember 2017 | News | News

Die Zukunft der Demografie

Mehr als hundert Bevölkerungswissenschaftler trafen sich am MPIDR, um den 21. Geburtstag des Instituts zu feiern. Bei der Veranstaltung verabschiedeten sie sich von Gründungsdirektor James Vaupel und diskutierten die Zukunft ihres Forschungsfeldes.

© MPIDR

Wie sieht die Zukunft der Demografie aus? Wie können Demografen auf ihre Bedeutung aufmerksam machen? Was kann getan werden, um sicherzustellen, dass das Forschungsfeld gedeiht und wächst und dass genügend junge Demografen in der Zukunft ausgebildet werden?

Diese zentralen Fragen diskutierten mehr als hundert Bevölkerungswissenschaftler, die sich am 19. Oktober am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) trafen, um den 21. Geburtstag des Instituts zu feiern und um sich von dem Gründungsdirektor des Instituts, James Vaupel zu verabschieden, dessen Tätigkeit als Direktor des Instituts Ende des Jahre zu Ende geht.

James Vaupel und Jan Hoem im Oktober 2000 beim Spatenstich für das neue MPIDR-Gebäude in der Konrad-Zuse-Straße am Ufer der Warnow. © MPIDR

James Vaupel wurde 1996 als erster Direktor des MPIDR in Rostock berufen. Das MPIDR war und ist das mit Abstand größte unabhängige demografische Forschungsinstitut in Deutschland. Drei Jahre später trat Jan Hoem als zweiter Direktor dem Institut bei.

"Die Führung von James Vaupel hat das MPIDR zu einer der führenden - wenn nicht zu der  führenden - Einrichtung der demografischen Forschung in der Welt gemacht", sagte Karl Ulrich Mayer in seiner Begrüßung. Mayer, ein Soziologe und ehemaliger Präsident der Leibniz-Gemeinschaft war es, der in den 90er Jahren den Aufbau eines Max-Planck-Instituts für Demografie vorgeschlagen hatte.

Zu dieser Zeit, kurz nach der deutschen Wiedervereinigung, war die Bevölkerungsforschung in Deutschland kaum von Bedeutung. Das Image der Demografie hatte unter den Missbräuchen dieser Wissenschaft im Nationalsozialismus erheblich gelitten. Von diesem schlechten Ruf hatte sich die Disziplin hierzulande in der Nachkriegszeit nie wirklich erholt.

In der Wissenschaftsgemeinschaft wird es als eine Errungenschaft von historischem Ausmaß gesehen, dass das Institut unter seinem Gründungsdirektor James Vaupel es geschafft hat, dass sich die Einstellung zur Demografie in Deutschland schnell änderte. Laut Mayer hat sich das MPIDR inzwischen zu einem "internationalen Exzellenzzentrum für Bevölkerungswissenschaft" entwickelt.

"James Vaupel war und ist ein institutioneller Innovator", sagte Mayer und verwies auf die große Zahl an wissenschaftlichen Institutionen und Kooperationen, die "Jim" Vaupel während seiner Zeit am MPIDR initiierte. So hat die Universität Rostock mit seiner Hilfe Professuren für Demografie eingerichtet und in Zusammenarbeit mit dem MPIDR das Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels gegründet. Mittlerweile ist Rostock das Zentrum der Demografieausbildung in Deutschland geworden.

Die Ausbildung des Nachwuchs war für Vaupel immer von großer Bedeutung. Er gründete die Maxnet Aging Research School (MNARS) und die European Doctoral School (EDSD). Vaupel setzte immer alles daran, junge Demografen an das Institut zu bringen und ihnen dabei zu helfen, ihre Karriere voranzutreiben, indem er ihnen die Wissenschaft lehrte und mit ihnen arbeitete.

Ist die Zukunft der Demografie in Gefahr?

Vaupels Interesse an jungen Demografen spiegelt sein Interesse für die Zukunft der Demografie wider, und eben diese Zukunft war Gegenstand des Jubiläums- und Abschiedssymposiums am MPIDR. Renommierte Redner lieferten eine Reihe von Perspektiven zum Stand der Demografie und ihren aktuellen Herausforderungen und diskutierten diese Themen in einer abschließenden Podiumsdiskussion weiter.

Panel über die Zukunft der Demografie. Von links nach rechts: Roland Rau, Professor für Demografie an der Universität Rostock; MPIDR-Gründungsdirektor James Vaupel; Moderator Björn Schwentker; Annette Baudisch, Professorin für Biodemographie an der University of Southern Denmark in Odense; Albert Esteve, Direktor des Centre d'Estudis Demogràfics (CED) an der Autonomen Universität von Barcelona; Frans Willekens, ehemaliger Geschäftsführer des MPIDR und ehemaliger Direktor des NIDI in den Niederlanden. © MPIDR

Vaupel wies warnend darauf hin, dass die Zukunft der Demografie alles andere als gesichert und die Disziplin in Gefahr sei. Vaupel stellte fest, dass es zum Zeitpunkt der Gründung des MPIDR 1996 an deutschen Hochschulen vier Professuren für Demografie gab, während es heute nur noch zwei sind. Er sagte, dass die Demografie künftig um Anerkennung kämpfen müsse und dass Demografen zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssten, den wissenschaftlichen Nachwuchs heranzuziehen.

Andere Diskussionsteilnehmer und Wissenschaftler aus dem Publikum deuteten an, dass sie Vaupels pessimistische Sichtweise nicht voll und ganz teilten, da die Bevölkerungsstudien mehr und mehr Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen anziehe. Diese Redner wiesen auch darauf hin, dass es nicht von Nachteil sei, wenn sich Wissenschaftler nicht Demografen nennen.

Haben Demografen eine gemeinsame Identität?

Eine der entscheidenden Fragen sei, darin waren sich die Teilnehmer des Symposiums einig, ob Demografen eine gemeinsame Identität haben und ob sie eine gemeinsame Definition für ihre Wissenschaft haben.

Frans Willekens, ehemaliger Geschäftsführer des MPIDR und ehemaliger Direktor des NIDI, argumentierte, dass die formale oder mathematische Demografie das Herzstück der Demografie sei, da die Mathematik die Demografie als Disziplin wahrnehmbar mache. Willekens betonte, dass die Demografie von den Bevölkerungszahlen definiert werde, mit denen sie sich befasst. Er sagte der Disziplin eine glänzende Zukunft voraus, wenn sie zu ihren Wurzeln in der formalen Demografie zurückkehre und diese weiterentwickle.

Roland Rau, Professor für Demografie an der Universität Rostock, fügte hinzu, dass man die Demografie nicht als Teilbereich der Soziologie betrachten solle, sondern dass sie ein eigenständiges Forschungsgebiet sei. Rau argumentierte, dass die Demografie eindeutig als eigenständige Disziplin einen Platz in der Hochschullandschaft einnehmen müsse.

Diese Sichtweise stellte Annette Baudisch, Professorin für Biodemografie an der University of Southern Denmark in Odense, in Frage. Sie wies in ihrer Rede darauf hin, wie viele unterschiedliche Disziplinen sie bei ihrer Arbeit am MPIDR angetroffen habe. Ihre Liste der 18 Fächer, denen sie begegnet war, umfasste Disziplinen wie Anthropologie, Wirtschaft, Politikwissenschaft, Physik und sogar Jura.

Baudisch forderte eine neue Denkweise, die über die Disziplinen hinausgeht und sich stattdessen darauf konzentriert, wie wissenschaftliche Fragen gemeinsam beantwortet werden können.

Annette Baudisch präsentiert die wissenschaftlichen Disziplinen, die sie während ihrer Arbeit am MPIDR angetroffen hat. © MPIDR

Mikko Myrskylä, seit 2014 Direktor des MPIDR, sagte, er begrüße es, mehrere Disziplinen am Institut zu haben. Er stellte außerdem fest, dass er keinen Mangel an qualifizierten Wissenschaftlern sehe, die in der Lage wären, am MPIDR hochrangige demografische Forschung zu betreiben. Myrskylä berichtete, dass die einzige Schwierigkeit, die er bei der Rekrutierung von Forschern für seine Forschungsgruppen habe, die hohe Anzahl an guten Bewerbungen sei, die er von Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen als der Demografie erhielte.

Gross denken!

Albert Esteve, Direktor des Centre d'Estudis Demogràfics (CED) an der Autonomen Universität von Barcelona, ​​ermahnte seine Kollegen zu "Think big!". Esteve sagte, dass es ihm kein Anliegen sei, die Demografie genau zu definieren. Stattdessen forderte er führende Demografen auf, sich zu vernetzen und Institutionen aufzubauen, die das Überleben des Feldes sichern. Je größer die Netzwerke und Institutionen seien, desto besser, so Esteve.

Esteve hat die Demografen auch gebeten, sich mehr für die Rettung ihrer Institutionen einzusetzen. Diese Bemühungen sollten, so Esteve, auch das Generieren und Bewahren von Wissen beinhalten, das für die politischen Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit von entscheidender Bedeutung sei. Er argumentierte, dass Demografen nicht zögern sollten, ihr Wissen zu teilen, da es in ihren Möglichkeiten stünde, eine Reihe von gesellschaftlichen Problemen zu beleuchten. Er empfahl weiter, dass, selbst wenn Demografen nicht zu ihrer neuesten Forschungsarbeit, sondern zu den Grundlagen der Bevölkerungswissenschaft befragt werden, sie auf diese Fragen antworten sollten, da Nicht-Experten die Antworten meist nicht geben könnten.

Optimistischer Ausblick

Vaupel sagte, dass er Willekens und Rau darin zustimme, dass das Herz der Demografie formaler Natur sein müsse. Er betonte auch, dass demografisches Wissen und demografische Werkzeuge für viele andere Disziplinen nützlich sein könnten, da man sie brauche, um die Interaktionen von Individuen auf der Bevölkerungsebene zu untersuchen. Er betonte, dass solche Untersuchungen keineswegs selten seien.

Vaupel schlug daher vor, die Demografie als "Superfeld" anderer Disziplinen wie der Soziologie zu bezeichnen und nicht als Teilgebiet derselben.

Angesichts dessen, dass viele Demografen im Publikum sich weniger pessimistisch zeigten - oder sogar eher optimistisch auf  die Zukunft der Demografie blickten, räumte Vaupel ein, dass die Aussichten für das Forschungsfeld in der Tat heller sein könnten, als er ursprünglich vermutet habe.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Vaupel sich weiterhin Sorgen um die Disziplin macht, auf die er den größten Teil seiner wissenschaftlichen Karriere fokussiert hat. Seine Bedenken können als mahnende Erinnerung dafür dienen, dass es notwendig ist, sich um die Demografie und  um die Menschen, die in dieser Disziplin arbeiten, zu kümmern.  

Als Myrskylä am Ende der Zeremonie Vaupel den Original-Spaten überreichte, den Vaupel und Hoem im Jahr 2000 genutzt hatten, um bei der Grundsteinlegung für das MPIDR-Gebäude den ersten Spatenstich zu tätigen, stellte sich heraus, dass an dem Spaten noch Erde klebte.
 

Mikko Myrskylä überreicht James Vaupel den Spaten, mit dem Vaupel und Jan Hoem im Jahr 2000 den ersten Spatenstich für das neue Institutsgebäude gemacht hatten. © MPIDR

Wenn Vaupel Ende dieses Jahres das Institut für die University of Southern Denmark in Odense verlässt - wo er auch weiterhin den Status quo des Wissens in der Demografie herausfordern wird -, wird er den Boden mitnehmen. Das Institut, das das Loch füllt, das er in Rostock gegraben hat, wird sein Vermächtnis bleiben.

Bevölkerungswissenschaftler aus aller Welt kamen ans MPIDR um am 19. Oktober 2017 den Geburtstag des Instituts und den Abschied von James Vaupel zu feiern. © MPIDR

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