31. März 2003 | Pressemitteilung

Einschätzung der langfristigen Fertilitäts- und Mortalitätsentwicklung in Deutschland

Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Institutes für Demografische Forschung (MPIDR) waren am 20. Februar 2003 zu einem Hearing der Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme (sog. Rürup-Kommission) eingeladen, um ihre Expertise zur Validierung der demografischen Grundannahmen darzulegen. Für die weitere Entwicklung der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland sind sowohl die zukünftige Fertilitätsentwicklung als auch die zu erwartenden Steigerungen in der Lebenserwartung von großer Bedeutung, da diese beiden Prozesse das zukünftige Verhältnis von jüngeren Arbeitnehmern zu älteren Rentenempfängern bestimmen werden. Der zur Gestaltung von Renten- und Krankenversicherung notwendige Prognosezeitraum von mehreren Jahrzehnten stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Außerdem ist für Deutschland die Frage nach einer Angleichung der Verhältnisse in den alten und neuen Bundesländern von Bedeutung.

Dr. Michaela Kreyenfeld vertrat die MPIDR-Abteilung Fertilitätsentwicklung im heutigen Europa. Entsprechend der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes wird davon ausgegangen, dass sich die zusammengefasste Fertilitätsziffer in Westdeutschland auf einem Wert von 1,4 stabilisiert hat und dort verharren wird. Für Ostdeutschland, wo die Fertilitätsraten nach der Wende drastisch, d.h. auf Werte bis zu 0,8, gesunken sind, wird von einer Angleichung an westdeutsche Verhältnisse ausgegangen. Bei der Einschätzung der zukünftigen Fertilitätsentwicklung hob Kreyenfeld folgende Aspekte hervor:

  • Deutschland (West) gehört zu den Ländern mit der höchsten Kinderlosigkeit und der niedrigsten (Kohorten-)Fertilität Europas. Die gegenwärtigen familien- und arbeitsmarktpolitischen Rahmenbedingungen sprechen gegen eine baldige Änderung dieses Trends.
  • Auch wenn sich die zusammengefasste periodenspezifische Geburtenziffer seit den 1970-er Jahren auf einem stabilen Niveau zu bewegen scheint, stecken dahinter ein kontinuierlicher Wandel des Geburtenverhaltens, d.h. ein Anstieg des Alters bei Geburt des ersten Kindes und eine stetige Zunahme des Anteils (zeitlebens) kinderloser Frauen.
  • Seit Mitte der 1990-er Jahre haben sich die ostdeutschen Periodenfertilitätsziffern dem westdeutschen Niveau angenähert. Obwohl es langfristig plausibel ist, von einer Ost-West-Anpassung auszugehen, sind mittelfristig Differenzen im Geburtenverhalten - insbesondere bezüglich des zweiten Kindes - wahrscheinlicher.
  • Darüber hinaus gibt es wenige Gründe davon auszugehen, dass sich das Erwerbsverhalten von Frauen und die Familienstrukturen (beispielsweise Anteil ver-hei-rate-ter Paare) in Ost-und Westdeutschland angleichen werden. Diese Aspekte dürften für die Gestaltung der Sozialversicherungssysteme ebenfalls von erheblicher Relevanz sein.

Die Prognosen der MPIDR-Abteilung Altern, Mortalität und Langlebigkeit zur weiteren Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland wurden von Dr. Jutta Gampe präsentiert. Bei der Einschätzung der zukünftigen Lebenserwartung müssen nach Ansicht der Forscher am Max-Planck-Institut für demografische Forschung folgende Tatsachen Berücksichtigung finden:

Zum einen muss die Entwicklung der Sterblichkeit in Deutschland in einem internationalen Kontext gesehen werden. Innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte hat sich die Lebenserwartung in Westdeutschland nahezu parallel zur Rekordlebenserwartung - das ist die jeweils in einem Jahr weltweit höchste Lebenserwartung - entwickelt, mit einem Rückstand von etwa drei Jahren zum jeweiligen Maximum. Wie Oeppen & Vaupel (2002) gezeigt haben, erhöhte sich die Rekordlebenserwartung seit 1840 linear, ohne Anzeichen für eine Verlangsamung des Trends. Berücksichtigt man, dass neue Erkenntnisse in Medizintechnik, Gesundheitsversorgung, Lebensführung und dergleichen schnelle internationale Verbreitung finden, so ist davon auszugehen, dass sich die Sterblichkeit in Deutschland auch weiterhin in den Trend der entwickelten Industrieländer einreihen wird.

Zum anderen verdeutlicht die Mortalitätsentwicklung in den neuen Bundesländern seit 1990, welch unmittelbare Verbesserungen auch im hohen Alter durch Änderungen in Lebensführung und Gesundheitsversorgung sowie durch medizinischen Fortschritt etc. erreicht werden können. Die rapide Konvergenz der Sterberaten im Osten Deutschlands in Richtung der in den alten Bundesländern vorherrschenden Werte gibt deutliche Hinweise darauf, wie stark Langlebigkeit durch externe Bedingungen begünstigt werden kann. Dies lässt den Schluss zu, dass medizinische Entwicklungen, welche Therapiefortschritte - vor allem bei den chronischen Krankheiten des Alters - mit sich bringen, auch in Zukunft durchgreifende positive Auswirkungen auf die verbleibende Lebenserwartung im Alter haben können.

Insgesamt führen diese Überlegungen zu zwei Prognoseszenarien für die fernere Lebenserwartung im Alter 65. Die konservativere Schätzung führt zu einer weiteren Lebenserwartung im Alter 65 im Jahre 2030 von 22,9 Jahren für Frauen und 18,3 Jahren für Männer. Die Schätzung, welche auf der Prognose des internationalen Trends beruht, liefert für 2030 mit 25,1 Jahren für Frauen und 20,9 Jahren für Männer noch höhere Werte, die einen Zuwachs von mehr als fünf Jahren im Vergleich zu 1999 bedeuten würden. Daher haben die Rostocker Forscher der Rürup-Kommission die dringende Empfehlung gegeben, ihre Annahmen über die zukünftige Entwicklung der Lebenserwartung optimistischer, d.h. höher anzusetzen.

Über das MPIDR

Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock untersucht die Struktur und Dynamik von Populationen. Die Wissenschaftler*innen des Instituts erforschen politikrelevante Themen wie den demografischen Wandel, Altern, Geburtendynamik und die Verteilung der Arbeitszeit über die Lebensspanne, genauso wie den digitalen Wandel und die Nutzbarmachung neuer Datenquellen für die Erforschung von Migrationsströmen. Das MPIDR ist eine der größten demografischen Forschungseinrichtungen in Europa und zählt international zu den Spitzeninstituten in dieser Disziplin. Es gehört der Max-Planck-Gesellschaft an, der weltweit renommierten deutschen Forschungsgemeinschaft.

Themen-verwandte Publikation

Oeppen, J. and J.W. Vaupel: Broken limits to life expectancy. Science 296(2002)5570, 1029-1031. DOI:10.1126/science.1069675

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.demogr.mpg.de und www.mpg.de.

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