21. Februar 2022 | News | Interview

Warum wir Ungleichheiten im Sterbealter mit dem modalen Sterbealter analysieren sollten

© MPIDR

Viorela Diaconu und ihre Kolleg*innen wollen neue Metriken einführen, um wichtige demografische Fragen in alternden Gesellschaften zu beantworten. Eine davon ist das modale Sterbealter. In diesem Interview spricht sie über die Vorteile dieser Metrik und ihre Ergebnisse nachdem sie diese auf finnische Registerdaten angewendet hat.

Frau Dr. Diaconu, in den vergangenen fünf Jahrzehnten ist die Sterblichkeit im höheren Alter in Ländern mit hohem Einkommen deutlich gesunken. Daher interessieren sich Forschende nun dafür, wie sich dieser Rückgang auf die verschiedenen sozialen Gruppen verteilt. Sie schlagen dafür eine neue Metrik vor. Warum?

Normalerweise werden Ungleichheiten im hohen Sterbealter anhand von Sterblichkeitsindikatoren bewertet, die auf einer festen Altersgrenze basieren. Im Allgemeinen wird das 65. Lebensjahr als das Alter festgelegt, das die Jungen von den Alten trennt, weil in diesem Alter die Krankheits- und Sterberaten deutlich zu steigen beginnen. Allerdings hat die Altersgrenze von 65 Jahren heute nicht mehr die gleiche Bedeutung wie noch vor 50 Jahren. Zudem ist die Bedeutung für eine Person mit einem niedrigeren sozioökonomischen Hintergrund anders als für eine Person mit einem höheren Status. Meine Kolleg*innen Alyson van Raalte, Pekka Martikainen und ich wollen daher eine neue Metrik, das so genannte modale Sterbealter, einführen, um die sozialen Ungleichheiten bei der Sterblichkeit im hohen Alter zu analysieren. Das modale Sterbealter beruht nicht auf einer willkürlichen Wahl der Altersgrenze und stellt auch Veränderungen über einen Zeitverlauf dar.

Sie haben diese Metrik auf finnische Registerdaten angewendet. Was sind Ihre Ergebnisse?

Wir zeigen, dass das modale Sterbealter, das heißt das Alter, in dem die meisten Todesfälle bei einem Geburtenjahrgang auftreten, in Finnland seit den 1970er-Jahren für alle Berufsklassen und für beide Geschlechter gestiegen ist. Die Ungewissheit über den Zeitpunkt des Todes ist für ältere Menschen gesunken. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass große Fortschritte erzielt wurden, die Überlebensrate in höherem Alter zu verbessern und die Ungewissheit über den Todeszeitpunkt zu verringern. Dies gilt für alle Berufsgruppen in Finnland.

Also haben sich beide Faktoren in allen sozialen Gruppen gleich schnell verbessert?

Ja, im Allgemeinen schon. In den unteren Berufsgruppen liefen die Verbesserungen jedoch etwas schneller ab als bei den besserverdienenden Berufsgruppen. Dies deutet darauf hin, dass die unteren Gruppen, sobald sie ein höheres Alter erreichen, die gleichen Verbesserungen zeigen, wie die oberen Gruppen.

Während unseres gesamten Untersuchungszeitraums zwischen 1971 und 2017 hatten Menschen aus der oberen Berufsgruppe, die nicht körperlich arbeiteten, eine höhere Lebenserwartung als Menschen, die körperlich arbeiteten. Das zeigen berufsspezifische Trends im modalen Sterbealter und bei der Lebenserwartung im Alter von 65 und 75 Jahren. Der Abstand zwischen den nicht-körperlich und den körperlich-arbeitenden Gruppen bei den Überlebenschancen im höheren Alter entwickelte sich jedoch unterschiedlich, je nach Sterblichkeitsindikator. Laut modalem Sterbealter der einzelnen Berufsgruppen waren die Unterschiede in der Sterblichkeit im Zeitraum zwischen 1971 und 2017 relativ stabil. Die Trends bei der Lebenserwartung im Alter von 65 und 75 Jahren zeigten jedoch, dass sich die Unterschiede vergrößerten.

Haben Sie eine Erklärung für die unterschiedliche Entwicklung der Ungleichheiten im Laufe der Zeit?

Nun, Indikatoren, die auf einer festen Altersgrenze wie 65 oder 75 basieren, haben einige Einschränkungen: Sie berücksichtigen nicht, dass die älteren Menschen von heute nicht dieselben sind wie die von gestern. Sie vergleichen Gruppen, die im Laufe des Alterns und der Zeit unterschiedliche Sterblichkeitsrisiken haben, und sie erfassen die sich im Laufe der Zeit ändernde Zusammensetzung der Todesursachen im höheren Lebensalter nicht. Es gibt für mich keinen Grund, warum das modale Sterbealter und die bedingte Lebenserwartung hinsichtlich ihrer Aussage, wie sich die Ungleichheit entwickelt, übereinstimmen müssen. Unterschiedliche Mortalitätsindikatoren, die zur Messung von Ungleichheiten verwendet werden, führen oft zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen.

Gab es auch ein Ergebnis, das Sie überrascht hat?

Ja, das überraschendste Ergebnis ist, dass der Anteil der Personen, die das modale Sterbealter erreichen, während des gesamten Studienzeitraums von mehr als 45 Jahren für alle sozialen Gruppen und für Männer und Frauen gleichermaßen stabil war. Das steht im Gegensatz zum Trend, dass sich der Anteil der Personen, die bis 65 und 75 Jahre überlebten, in allen Berufsgruppen beinahe verdoppelte. Das deutet darauf hin, dass das modale Sterbealter im Gegensatz zur bedingten Lebenserwartung Personen mit ähnlichen Überlebenschancen im Laufe der Zeit und über Berufsgruppen hinweg vergleicht. Es kann daher als eine Metrik für das Altern betrachtet werden, die das Alter auf der Grundlage von bestimmten Merkmalen von Personen, in diesem Fall ihrer Überlebenschancen, neu konzeptualisiert.

Originalpublikation

Diaconu, V., van Raalte, A., Martikainen, P: Why we should monitor disparities in old-age mortality with the modal age at death. PLOS ONE (2022). DOI: 10.1371/journal.pone.0263626

Autor*innen und Institutionen

Viorela Diaconu, Universität von Montreal; Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

Alyson van Raalte, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

Pekka Martikainen, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock; Universität Helsinki; Karolinska Institutet, Stockholm

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MPIDR-Autor*innen der Studie

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Pekka Martikainen

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Leiterin einer Forschungsgruppe

Alyson van Raalte

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