17. Oktober 2019 | News | Neue Publikation

Wie Kinder die Lebenserwartung der Eltern beeinflussen

© altanaka / photocase.com

Lassen Kinder uns länger leben? Ja, sagen die Zahlen, aber die Gründe sind noch unverstanden. Irgendwie scheint es zwischen der Lebenserwartung von Menschen und der Anzahl ihrer Kinder einen Zusammenhang zu geben: Wer ein Kind bekommt, lebt in der Regel länger als Kinderlose. Wer zwei Kinder hat, bekommt nochmal einen kleinen Lebensbonus dazu. Welche Gründe es für diesen Zusammenhang geben könnte, untersucht eine neue Studie mit Daten von biologischen Eltern und Adoptiveltern.

(Der folgende Text basiert auf der wissenschaftlichen Veröffentlichung "Parity and mortality: an examination of different explanatory mechanisms using data on biological and adoptive parents" des MPIDR-Forschers Kieron Barclay und wurde auf Deutsch bereits mit kleinen Änderungen in der Ausgabe 3/2019 des Quarterlys Demografische Forschung Aus Erster Hand veröffentlicht.)

Die Zahlen scheinen auf den ersten Blick eindeutig: Mütter und Väter leben in der Regel länger als Kinderlose. Bei Eltern, die Kinder adoptieren, ist der Effekt noch deutlicher: Wird ein Kind adoptiert, steigt die Lebenserwartung um drei Jahre. Bei zwei oder drei Kindern sind es sogar fünf Jahre. Das zeigt eine neue Studie, die Kieron Barclay vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und Martin Kolk von der Universität Stockholm im European Journal of Population veröffentlicht haben. Sie konnten dafür auf Daten von über vier Millionen schwedischer Frauen und Männer zurückgreifen, die zwischen 1915 und 1960 geboren wurden.

Der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kinder und der Lebenserwartung ist nicht neu. Und es gibt verschiedenste Theorien dazu. Das Besondere an der Rostocker Studie ist, das Barclay und Kolk auch auf Daten von Adoptiveltern zurückgreifen können.  Damit können sie körperliche und soziale Ursachen besser voneinander trennen.

So lautet etwa eine gängige Theorie, dass Frauen, die Kinder auf die Welt gebracht haben, seltener an Brust- oder Gebärmutterkrebs erkranken. Auch die Daten aus Schweden, die Gesundheitsangaben umfassen, bestätigen dies. Gleichzeitig wird aber auch sehr deutlich: Biologische Väter und Eltern mit adoptierten Kindern haben in der Regel ebenfalls eine geringere Sterblichkeit als  Kinderlose (s. Abb.1). Und die Kurven für Männer und Frauen verlaufen recht ähnlich. Biologische Ursachen, die allein auf Mütter und die körperlichen Folgen von Geburten abzielen, können also höchstens ein sehr kleines Puzzleteil der Erklärung sein.

Sowohl biologische als auch Adoptiveltern haben im Vergleich zu Kinderlosen eine geringere Sterblichkeit. Unterschiede, die aus den Geburtenjahrgängen resultieren, sind dabei herausgerechnet. Gleicht man auch Unterschiede aus, die aus verschiedenen Bildungsniveaus und Berufszugehörigkeiten resultieren, ist der Vorteil biologischer Eltern gegenüber Kinderlosen deutlich geringer. Bei den Adoptiveltern hingegen bleiben die Vorteile größtenteils bestehen. Quelle: Swedish register data, eigene Berechnungen. © MPIDR

Auch die andere Theorie, die den Körper als Erklärung heranzieht, können Barclay und Kolk nicht bestätigen. Die sogenannte „Disposable-soma-theory“, zu Deutsch etwa „Theorie des Wegwerfkörpers“, geht davon aus, dass vor allem Frauen ihre Kraft und Gesundheit entweder in seine Reproduktion – also in Kinder – investiert  oder in seine Langlebigkeit. Weil die Sterblichkeit sowohl der Adoptiv- als auch der biologischen Eltern mindestens bis zum vierten Kind unter derjenigen von Kinderlosen liegt, verwerfen die beiden Forscher diese Erklärung. Sie könne allenfalls historisch zutreffend gewesen sein, als die Geburt noch ein höheres Risiko für Frauen darstellte und das Sozial- und Gesundheitswesen deutlich schlechter waren, schreiben die Forscher. Ähnliche Gründe führen sie auch gegen die Theorie der „sozialen Erschöpfung“ an, die nicht die körperlichen, sondern eher die sozialen und psychischen Kraftanstrengungen von Eltern betonen.

Barclay und Kolk vermuten viel eher, dass es nicht die Geburt oder die Kinder sind, die den Eltern eine längere Lebenserwartung bescheren. Vielmehr vermuten sie, dass die Eltern von vornherein schon besser dastanden als jene, die keine Kinder bekommen werden. Etwas vereinfacht formuliert: Wer Gesundheit, Geld und Bildung hat, findet eher einen Partner und hat auch die Ressourcen, eine größere Familie zu gründen. Diese Menschen bringen ihren Sterblichkeits-Vorteil dann quasi von vornherein mit – er wäre demnach eher eine Voraussetzung als eine Folge von Kindern.

Eltern mit ausländischen Adoptivkindern haben eine besonders geringe Sterblichkeit. Das liegt vermutlich daran, dass die Tests für solche Adoptiveltern besonders hohe Ansprüche an Lebensweise, Auskommen und Gesundheit stellen. Wer diese Tests erfolgreich besteht, hat wahrscheinlich von vornherein eine vergleichsweise hohe Lebenserwartung. Quelle: Swedish register data, eigene Berechnungen. © MPIDR

So zeigt sich etwa bei den biologischen Eltern, dass sich ihre Sterblichkeit sehr viel stärker an die der Kinderlosen annähert, wenn die Wissenschaftler bei der Analyse berücksichtigen, welche Bildung oder welchen Beruf die Befragten hatten (s. Abb.1). Bei biologischen Vätern und Müttern mit einem Kind verschwindet der Sterblichkeitsvorteil in diesem Fall ganz, bei fünf und mehr Kindern haben biologische Eltern dann sogar eine niedrigere Lebenserwartung  als Kinderlose. Auch hier könnte die Selektion eine Rolle spielen: Eltern mit vielen Kindern hatten in der Vergangenheit häufig einen eher niedrigen Bildungsabschluss, ein geringes Einkommen und kein vorteilhaftes Gesundheitsverhalten.

Anders sieht das bei den Adoptiveltern aus. Sie sind bereits positiv selektiert, weil sie beim Adoptionsverfahren sehr genau durchleuchtet werden: ihre Gesundheit, die finanzielle Situation, das Zuhause, der Umgang und das Verhalten werden überprüft.  Daher, so schlussfolgern, Barclay und Kolk, hätten sie auch eine deutlich geringere Sterblichkeit als biologische Eltern, die einen solchen Selektionsprozess nicht durchlaufen müssen (s. Abb.1).

Welch große Rolle diese Prüfung spielt, zeigt sich auch bei einer genaueren Analyse der Adoptiveltern (s. Abb. 2). So ist etwa bei der Adoption eines nicht schwedischen Kindes eine deutlich strengere Prüfung vorgesehen als bei der Adoption einheimischer Kinder. Während die Eltern schwedischer Adoptivkinder in etwa die gleiche Sterblichkeit haben wie biologische Eltern, zeigt sich bei Adoptiveltern von ausländischen Kindern eine sehr viel geringere Sterblichkeit. Das heißt, hier wurden vermutlich von vornherein nur die gesündesten, stabilsten und stärksten Personen ausgesucht.

Auch die Analyse der unterschiedlichen Bildungsgruppen zeigt einen Selektionsprozess (s. Abb. 3). Zunächst einmal lässt sich Erwartbares ablesen: Je höher die Bildung, vor allem der Frauen, desto geringer ist die Sterblichkeit unter ihnen. Gleichzeitig scheint in den höheren Bildungsgruppen der Vorteil aber umso größer, je mehr Kinder eine Frau hat. Während Frauen ohne Abitur mit zwei Kindern ihre höchste Lebenserwartung erreichen, ist dies bei Frauen mit Abitur bei drei Kinder der Fall. Unter den  Müttern mit Universitätsabschluss dagegen dürfen diejenigen mit vier Kindern mit dem längsten Leben rechnen.

Wenn Eltern sehr gut gebildet sind, nimmt ihre Sterblichkeit bis zum vierten Kind mit jeder weiteren Geburt ab. Quelle: Swedish register data, eigene Berechnungen. © MPIDR

Doch ganz allein mit Selektion lassen sich die Unterschiede zwischen Eltern und Kinderlosen nicht erklären. Wie auf Abbildung 1 zu sehen ist, hat die Mehrheit der Eltern, nämlich die mir zwei, drei oder vier Kindern, auch dann noch einen Vorteil gegenüber den Kinderlosen, wenn Faktoren wie Bildung und Beruf berücksichtigt wurden.

Barclay und Kolk erklären diesen Vorteil bei der Lebenserwartung damit, dass Kinder einen positiven Einfluss auf die Gesundheit der Eltern haben. Hierzu gibt es zwei verschiedene mögliche Theorien: Zum einen könnte es sein, dass Kinder später dafür sorgen, dass ihre alternden Eltern Unterstützung und Hilfe bekommen. So gab es etwa Studien, die zeigen konnten, dass eine hohe Bildung und ein hohes Einkommen der Kinder mit einer größeren Lebenserwartung ihrer Eltern einhergeht. Allgemein konnten Barclay und Kolk indes keine Belege für diese Theorie finden. Denn dann wäre ja zu erwarten, dass Eltern umso mehr von dieser Unterstützung profitieren, je mehr Kinder sie haben. Tatsächlich aber steigt die Lebenserwartung bei den biologischen Eltern nur bis zum zweiten Kind an und fällt danach wieder ab (s. Abb.1).

Dass Kinder ihre Eltern gesünder machen, sei eher darauf zurückzuführen, dass sie deren „Lebensstil“ verändern, vermuten Barclay und Kolk. Mütter und Väter  verhalten sich gesünder: Sie verunglücken seltener als Kinderlose, und auch Kreislauferkrankungen treten bei ihnen nicht so häufig auf. Das Gleiche lässt sich bei Adoptiveltern beobachten. Obwohl in diese Gruppe ohnehin nur Menschen gelangen, die einen gesunden und verantwortungsvollen Lebensstil pflegen, ist auch bei ihnen ein positiver Effekt der Kinder auf die Lebenserwartung nachweisbar, schreiben Barclay und Kolk. Das gilt vor allem für die Adoption ausländischer Kinder: Obwohl diese Gruppe mit Adoptiveltern bereits stark selektiert ist und vor allem gesunde, stabile und gutsituierte Menschen umfasst, steigt die Lebenserwartung hier mit jedem Kind weiter an.

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Kieron Barclay

Original-Publikation: Barclay, K. J., M. Kolk: Parity and mortality: an examination of different explanatory mechanisms using data on biological and adoptive parents. European Journal of Population 35:1, 63-85 (2019). DOI: 10.1007/s10680-018-9469-1

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