21. November 2014 | News | Blog Post

Älter, schlauer, grüner und produktiver

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Der demografische Wandel ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft, so die landläufige Meinung. Die zwei MPIDR-Forscher Fanny Kluge und Tobias Vogt sehen das differenzierter. In diesem Beitrag zeigen sie auf, wie wir davon sogar profitieren könnten.

Dieser Beitrag ist am 27. Oktober 2014 in dem Blog OECD insights erschienen. Er basiert auf Daten aus dem Fachartikel „The Advantages of Demographic Change after the Wave: Fewer and Older, but Healthier, Greener, and More Productive?”, der im September 2014 bei bei PloS One erschienen ist.

Alternde Bevölkerungen sind eine Gefahr für die nachhaltige Entwicklung moderner Gesellschaften. So lautet die landläufige Meinung, die in der politischen, in der öffentlichen und in der wissenschaftlichen Diskussion geäußert wird, wenn es darum geht, vor den Folgen des demografischen Wandels zu warnen. Dem zugrunde liegt die Sorge, dass immer mehr ältere Menschen von immer weniger jungen Menschen versorgt werden müssen. Diese Sorgen müssen ernst genommen werden, wenn die Situation so bleibt. Die Veränderungen in der Altersstruktur werden eine große Herausforderung für die öffentlichen Finanzen. Die Sozialpolitik muss an diese Veränderungen angepasst werden, insbesondere in den Wohlfahrtsstaaten. Aber die demografische Zukunft muss nicht so düster aussehen, wie wir sie derzeit zeichnen. Das „Ergrauen“ der Bevölkerung ist ein natürlicher Vorgang und kann sogar Vorteile bringen. Dieser Gedanke war der Ausgangspunkt für ein bis dato einzigartiges Projekt, das sich mit den Potenzialen und Chancen des demografischen Wandels beschäftigt. In dieser Fallstudie (herunterzuladen bei PLoS One) fokussieren wir uns auf Deutschland, wo das mittlere Alter bei 44,3 Jahren liegt. Damit ist Deutschland das zweitälteste Land der Welt. Wir haben fünf Bereiche definiert, die davon profitieren könnten, wenn die beobachteten Trends der Vergangenheit sich in der Zukunft fortsetzen würden.

Um die zukünftigen Herausforderungen sowie die Chancen des demografischen Wandels zu verstehen, muss man im Hinterkopf haben, dass sie allein aus Änderungen in der Altersstruktur resultieren. Wenn wir die aktuelle Altersstruktur in Deutschland aufzeichnen, sieht es eher aus wie ein Baum als wie die übliche Bevölkerungspyramide. Das gleiche Bild ergibt sich für fast alle Industrieländer. Doch diese Darstellung ist auch nur eine Momentaufnahme, da die überrepräsentierten, älteren Altersgruppen immer kleiner und in ein paar  Jahrzehnten verschwinden werden. Dies wird dazu führen, dass wir trotz der anhaltend niedrigen Fertilität und  trotz des allgemeinen Bevölkerungsrückgangs nach 2040 eine Altersstruktur haben werden, die stabiler ist, als die Struktur, die wir in den Jahrzehnten haben, in denen die Baby-Boom-Kohorten in Rente gehen. In den letzten Jahrzehnten stieg in Deutschland der Anteil der über 65-Jährigen um zwei bis drei Prozentpunkte. Zwischen 2020 und 2040 wird sich der Anteil dieser Altersgruppe um 10 Prozentpunkte von 23% auf 33% erhöhen. In den darauffolgenden zwei Jahrzehnten wird dieser Anteil stabil auf hohem Niveau bleiben und leicht nach oben gehen.

In Anbetracht dieser Bevölkerungsstruktur besteht die Sorge, dass eine Gesellschaft, die insgesamt weniger Menschen zählt, die zudem älter sind, auch weniger produktiv ist. Doch mit dieser Annahme wird die Tatsache ignoriert, dass bestimmte Produktivitätsfaktoren bei den Älteren nicht konstant bleiben, sondern sich im Lauf der Zeit ändern. So zum Beispiel die Faktoren Bildung und Gesundheit.

Während der letzten Jahrzehnte sind die Hochschulübergangsquoten kontinuierlich von Kohorte zu Kohorte gestiegen. Dies zeigt sich in der steigendenden Zahl an Arbeitskräften mit Hochschulabschluss. Im Jahr 2008 hatte jeder fünfte in der Altersgruppe 25-29 und in der Altersgruppe 50 plus einen tertiären Bildungsabschluss. Dieser Anteil wird in Zukunft weiterhin deutlich steigen. Nach 2050 wird jede dritte Person in den beiden Altersgruppen einen tertiären Bildungsweg durchlaufen haben. Wenn die derzeitigen Erwerbsquoten bei diesen Gruppen so bleiben wie sie sind, würde dies bedeuten, dass dann 46 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland einen Hochschulabschluss haben; heute sind es nur 28 Prozent.

Zeitgleich mit diesen Veränderungen wird sich der Gesundheitszustand des Einzelnen verbessern. In den vergangenen 30 Jahren ist die durchschnittliche Altersstufe, in der die Menschen in Deutschland angeben, dass sich ihr subjektives Gesundheitsempfinden verschlechtert hat, immer weiter nach hinten gerückt. Wenn wir diesen Trend in die Zukunft projizieren, stellen wir fest, dass sich nicht nur die Lebenserwartung erhöht, sondern auch die Anzahl der Jahre, in denen wir gesund sind. Schon heute können die Deutschen erwarten, dass sie bis zu 60 Prozent ihres Lebens in gesunder Verfassung verbringen. Bis 2050 wird sich dieser Prozentsatz auf 80 erhöhen, was nahelegt, dass die meisten gewonnenen Lebensjahre nicht unbedingt Jahre mit Gesundheitsproblemen sein werden. Natürlich basiert dieses Szenario auf Entwicklungen der Vergangenheit und vernachlässigt mögliche zukünftige Gefahren für die Gesundheit wie zum Beispiel die Folgen der zunehmenden Fettleibigkeit und steigende kognitive Beeinträchtigungen im höheren Alter. Dennoch könnten die Produktivitätsverluste teilweise durch die Verbesserung des individuellen Gesundheitszustands und der besseren Bildung aufgefangen werden.

Eine kleinere und ältere Bevölkerung könnte nicht nur produktiver sein als prognostiziert, es könnte auch sein, dass sie weniger zur Umweltverschmutzung beiträgt. Wenn wir unterschiedliche Konsumverhalten und  deren ökologische Folgen betrachten, sehen wir, dass vor allem jüngere Menschen mehr reisen und mehr konsumieren und somit höhere CO2-Emissionen verursachen als Menschen im Rentenalter. Sollte das heutige Konsumverhalten fortbestehen, ist davon auszugehen, dass eine ältere und kleinere Populationen erheblich weniger CO2 ausstoßen würde. In unserer Untersuchung haben wir herausgefunden, dass die Veränderung der Bevölkerungsgröße und das Konsumverhalten verantwortlich sind für einen 30-prozentigen Anstieg der Emissionen zwischen 1950 und 2020. In den  darauffolgenden Jahrzehnten könnten die Emissionen sogar auf das Niveau vor den 1950 Jahren zurückgehen.

Abgesehen von den Herausforderungen und den Chancen auf Bevölkerungsebene wird der demografische Wandel mit Sicherheit unser Leben und unsere Familienbeziehungen beeinflussen. Im Durchschnitt werden wir länger bei guter Gesundheit leben und brauchen erst später Unterstützung. Aber es wird weniger junge Menschen in unseren Familiennetzwerken geben, die ihre alten Eltern oder andere Verwandten unterstützen können. Ob eine andere Verwendung unserer Zeitbudgets diese fehlenden Menschen ausgleichen können, ist fraglich. Sollten sich die bisherigen Muster in Arbeit und Freizeitverhalten fortsetzen, würden wir in Zukunft ein wenig mehr Zeit für Freizeit und Haushalt aufwenden. Der Zeitanteil, den die Arbeit einnehmen wird, wird von 14,5 auf 11,9 Prozent sinken. Ob die Jüngeren dann tatsächlich mehr Zeit mit den älteren Menschen verbringen, bleibt abzuwarten. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, wie wertvoll die älteren Menschen sein werden bezüglich der Ressourcen, die sie zur Verfügung stellen können. Der Reichtum, den sie an die nächste Generation weitergeben, wird unter einer kleineren Zahl an Geschwistern geteilt werden. So profitiert also auch die jüngere Generation einer Familie.

Sicherlich wird unsere Studie nicht die Probleme lösen, denen wir uns in Zukunft stellen müssen. Aber sie wirft das Licht auf mögliche Chancen, die durch eine alternde Bevölkerung entstehen. In den nächsten Dekaden werden sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern, und die Menschen werden ihr Verhalten an die neuen Erwartungen anpassen. Wie groß die Auswirkungen des demografischen Wandels werden, können wir also nicht sagen. Aber wir sollten damit beginnen, das Potenzial und die notwendigen Anpassungen in unserer Gesellschaft zu diskutieren. Die Zukunft ist nicht hell, aber auch nicht so dunkel wie manchmal beschrieben, und wir haben die Möglichkeiten, einiges zu ändern.

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