10. April 2014 | News | Neue Veröffentlichung

Die Kluft wird größer

Im Westen Weißrusslands leben die Menschen länger als im Ostteil des Landes. Auch die Hauptstädter haben eine höhere Lebenserwartung. © wueStenfUXX / photocase.com

(Der folgende Text basiert auf dem Artikel "Die Kluft wird größer" des MPIDR-Forschers Pavel Grigoriev und ist mit kleineren Änderungen ebenfalls erschienen in der Ausgabe 01/2014 der vierteljährlichen Reihe Demografische Forschung aus Erster Hand.)

Nach dem Zerfall der UdSSR stieg die Sterberate in allen ehemaligen Sowjetrepubliken an. Wie es um die Situation in Weißrussland heute bestellt ist, hat ein Team um Pavel Grigoriev untersucht. Es nennt auch Gründe für die wachsende Kluft zwischen den Regionen. Demnach führen vor allem Alkohol sowie Arbeitslosigkeit und Armut zu mehr Todesfällen.

Als sich die Sowjetunion im Jahr 1991 auflöste, hatten fast alle der ehemaligen Republiken mit massiven Problemen zu kämpfen. Steigender Alkoholkonsum, psychologischer Stress infolge der sozioökonomischen Krise und ein marodes Gesundheitssystem ließen die Sterberaten überall in der Region in die Höhe schießen.
Auch Weißrussland blieb davor nicht verschont, wenngleich sich die Situation dort nicht ganz so dramatisch wie in vielen anderen Ländern darstellte. Pavel Grigoriev vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und seine Kollegen haben untersucht, wie sich die Sterberate in dem osteuropäischen Staat seither, genauer gesagt im Zeitraum zwischen 1990 und 2007, verändert hat. Ein Schwerpunkt ihrer Studie bestand darin, regionale Unterschiede und deren Ursachen aufzuspüren. Darüber hinaus versuchten die Forscher herauszufinden, inwieweit sich das Reaktorunglück von Tschernobyl auf die Sterblichkeit der Weißrussen ausgewirkt hat.

Für ihre Untersuchung nutzten die Demografen teilweise noch unveröffentlichte Daten des Nationalen Statistischen Komitees Weißrusslands, Belstat. Detaillierte Angaben für die verschiedenen Bezirke, Oblaste genannt (s. Abb. 1), lagen ihnen für die Jahre 1997 bis 2007 vor. Ähnliche Daten auf der Ebene einzelner Kreise (Rajone) und Städte existierten für den Zeitraum 2003 bis 2007. Für die Entwicklung vor 1997 mussten sie sich auf eher lückenhafte Angaben verlassen. Die vorhandenen Daten gelten aber als recht zuverlässig. Bei der Berechnung der Sterberaten berücksichtigten die Forscher das Alter der untersuchten Bevölkerungsgruppen.

Abb. 1: Weißrussland gliedert sich in sechs Verwaltungsbezirke (Oblaste) mit 118 Kreisen (Rajonen). Die Hauptstadt Minsk hat einen Sonderstatus und gehört keiner der Oblaste an. © www.diva-gis.org

Die Ergebnisse von Grigoriev und seinen Kollegen zeigen, dass die Sterblichkeit zwischen 1990 und 1995 im ganzen Land zunahm. In der Hauptstadt Minsk etwa sank die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer um 4,7 Jahre. In dem im Westen des Landes gelegenen Oblast Brest, der von den Veränderungen am wenigsten betroffen war, waren es immerhin 2,9 Jahre. Es scheine, als ob die Bewohner der Großstädte für die sozioökonomischen Folgen des Zerfalls der UdSSR besonders anfällig gewesen seien, schreiben die Forscher.

Ende der Neunzigerjahre stabilisierte sich die Situation. Im Jahr 2007 hatten die Hauptstädter sogar die höchste Lebenserwartung im ganzen Land. Männer wurden hier im Schnitt 67,4 und Frauen 77,8 Jahre alt. Die Bewohner Brests liegen in der Statistik an zweiter Stelle. Am niedrigsten ist die Lebenserwartung im Oblast Minsk: 2007 konnten neugeborene Jungen dort nur mit 62,8 und neugeborene Mädchen mit 75 Jahren rechnen. Insgesamt leben Männer in Weißrussland heutzutage kürzer als zu Sowjetzeiten. Für Frauen hingegen hat sich die Situation leicht verbessert, was vor allem auf die höhere Lebenserwartung in der Hauptstadt zurückgeht. Als Haupttodesursachen des Landes gelten derzeit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, äußere Einflüsse und Krebs. Zu den äußeren Einflüssen zählen zum Beispiel Unfälle, Morde, Suizide und Alkoholvergiftungen.

Generell haben die Unterschiede zwischen den einzelnen Bezirken Weißrusslands in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen. Die Ungleichheiten seien vor allem auf die Todesfälle der Männer durch äußere Einflüsse zurückzuführen, schreiben Grigoriev und sein Team. Bei den Todesfällen durch Krebs sind die regionalen Unterschiede den Forschern zufolge am geringsten.

Die Daten aus den Rajonen zeigen einen weiteren wichtigen Trend: Im Osten des Landes sterben die Menschen früher als im Westen. Bei Männern ist das Sterberisiko dort um 7 Prozent erhöht, bei Frauen sogar um 8,5 Prozent.

Die unterschiedlichen Sterberaten lassen sich den Berechnungen der Demografen zufolge vor allem durch Arbeitslosigkeit, Armut und Alkoholismus erklären (s. Tab. 1).
Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Unfälle sind demnach häufige Folge von Alkoholismus und Arbeitslosigkeit, während Armut verstärkt zu Morden und Suiziden führt.

Tab. 1: Die Tabelle zeigt, wie sich verschiedene Variablen auf die Sterblichkeit in Weißrussland in den Jahren 1997 bis 2007 ausgewirkt haben. In die Berechnungen wurden Männer und Frauen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren einbezogen. Dargestellt ist der Einfluss auf die altersstandardisierte Ster- berate pro 100.000 Einwohner für verschiedene Todesursachen. Ein positiver Wert zeigt an, dass die Sterberate steigt; ein negativer, dass sie sinkt. Drei Sternchen hinter den Werten bedeuten, dass das Ergebnis hoch signifikant ist. Zwei Sternchen stehen für eine mittlere, keines für eine fehlende Signifikanz. © Belstat (1997-2007, 2009b und bislang unveröffentlichte Daten), eigene Berechnungen.

Inwieweit sich das Reaktorunglück von Tschernobyl, durch das Weißrussland im April 1986 stark radioaktiv kontaminiert wurde, auf die Sterberaten ausgewirkt hat, bleibt in der Studie unklar. Zwar deuteten einige Cluster vermehrter Todesfälle infolge bestimmter Krebserkrankungen im besonders heftig betroffenen Südosten des Landes auf einen Einfluss des Unfalls hin, schreiben Grigoriev und seine Kollegen. Es ließe sich aber nicht erklären, warum die Anhäufungen nur vereinzelt zu finden seien – während sie in benachbarten, ebenso stark kontaminierten Gebieten ausgeblieben sind.

Literatur

Grigoriev, P., G. Doblhammer-Reiter and V.M. Shkolnikov: Trends, patterns, and determinants of regional mortality in Belarus, 1990–2007. Population Studies, 67(2013)1, 61-81. DOI: 10.1080/00324728.2012.724696

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