13. März 2025 | News | BLICKPUNKT
Eine schwierige Kindheit erhöht das Risiko, früh zu sterben
[BLICKPUNKT]
Studie bemisst widrige Umstände in der Kindheit als Risikofaktor für Ungleichheiten in der Sterblichkeit
In ihrer aktuellen Studie stellen Josephine Jackisch und Alyson van Raalte vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) fest, dass eine schwierige Kindheit ein wichtiger Faktor für Ungleichheiten in der Sterblichkeit ist. Ihr Einfluss ist genauso groß wie der etablierter verhaltensbezogener Risikofaktoren, etwa Rauchen oder Bewegungsmangel.

Probleme in der Kindheit könnten ein noch wichtigerer Faktor für Ungleichheiten in der Sterblichkeit sein als jedes einzelne Gesundheitsverhalten. © istockphoto.com/Imgorthand
Die MPIDR-Forscherinnen schätzen, dass Widrigkeiten in der Kindheit etwa 40 bis 50 Prozent des sozioökonomischen Unterschieds in der Sterblichkeit ausmachen. Die Ergebnisse waren bei Männern und Frauen ähnlich, was Bildung und Einkommen betrifft. „Dies ist ein enormer Beitrag. Probleme in der Kindheit könnten ein noch wichtigerer Faktor für Ungleichheiten in der Sterblichkeit sein als jedes einzelne Gesundheitsverhalten und so wichtig wie alle Gesundheitsverhalten zusammen“, sagt Josephine Jackisch.
Mitautorin Alyson van Raalte fügt hinzu: „Diese Ergebnisse bestätigen zwar bereits bestehende Annahmen, aber wir glauben, dass unsere Studie endlich Bewegung in eine lang anhaltende Debatte über die Determinanten von Unterschieden in der Sterblichkeit bringt.“ Es ist seit langem bekannt, dass Kinder mit schwieriger Kindheit als Erwachsene geringere Chancen haben, ein höheres Bildungsniveau zu erreichen oder ein höheres Einkommen zu erzielen. Diese Kinder sind auch eher von einem schlechten Gesundheitszustand betroffen. Bisher war jedoch nicht klar, ob negative Erfahrungen im Kindesalter so entscheidend sind, dass sie die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich oder zwischen Menschen mit hohem und niedrigem Bildungsstand erklären können.
Ein Mangel an Längsschnittdaten hat Forscher*innen bislang daran gehindert, diese Frage zu beantworten. Noch ungünstiger ist, dass Studien, die sich mit den Determinanten sozioökonomischer Ungleichheiten in der Sterblichkeit befassen, Faktoren aus der Kindheit im Allgemeinen ignorieren. Daher erweisen sich bestimmte Verhaltensweisen wie Rauchen oder wenig Sport bei Erwachsenen durchweg als die wichtigsten Faktoren für Mortalitätsunterschiede. Ziel dieser in der Zeitschrift Social Science & Medicine veröffentlichten Studie ist es, zu quantifizieren, inwieweit die sozioökonomischen Unterschiede in der Lebenserwartung von Erwachsenen mit Widrigkeiten in der Kindheit zusammenhängen.
Daten aus einer schwedischen Kohortenstudie in kontrafaktischem Szenario verwendet
Die Studienergebnisse stammen aus der weltweit am längsten laufenden bevölkerungsbasierten Kohortenstudie mit Informationen über die Inanspruchnahme von Kinderhilfsdiensten, der Geburtskohorte Stockholm 1953 mit mehr als 14.000 Teilnehmer*innen. Widrige Umstände in der Kindheit werden anhand schwedischer Register gemessen und als Kontakt mit Kinderhilfsdiensten dargestellt; etwa 20 Prozent der Kohorte hatten Kontakt zu diesen Diensten. Die Forscherinnen erstellten ein kontrafaktisches Szenario, in dem Personen mit einer schwierigen Kindheit die gleichen Sterberaten aufwiesen wie Personen ohne schwierige Kindheit, wobei die sozioökonomische Position im Erwachsenenalter berücksichtigt wurde.
Beispielsweise beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung für die Altersgruppen 30–68 Jahre zwischen einem Mann in der untersten Einkommensgruppe und einem Mann in der obersten Einkommensgruppe drei Jahre. Viele der Männer in der Gruppe mit niedrigem Einkommen hatten eine schwierige Kindheit, was einer der Gründe dafür ist, dass sie am Ende eine geringe Bildung und ein geringes Einkommen haben. Der Unterschied in der Lebenserwartung wäre aber nur halb so groß in einer Welt, in der Männer mit schwieriger Kindheit die gleiche Sterblichkeit hätten wie ihre Altersgenossen in der Gruppe mit dem niedrigsten Einkommen. Er würde nur etwa eineinhalb Jahre betragen.
„Kinder können sich die Familie, in die sie hineingeboren werden und in der sie aufwachsen, nicht aussuchen. Das macht diese Ungleichheiten in der Sterblichkeit eindeutig ungerecht und zu einer Frage der Gerechtigkeit. Wir glauben, dass unsere Studie dazu beitragen kann, die gesundheitliche Benachteiligung von Kindern fest auf die Agenda der Politik für Gesundheitsgerechtigkeit zu setzen. Politische Maßnahmen zur Verringerung von Ungleichheiten, die sich an Erwachsene richten, könnten demnach weitgehend wirkungslos sein“, sagt Josephine Jackisch.
Definition von Widrigkeiten in der Kindheit:
Widrigkeiten in der Kindheit sind Umstände in der Familie oder im direkten sozialen Umfeld eines Kindes, die die Gesundheit und das Wohlbefinden eines Kindes im Alter von 0 bis 18 Jahren gefährden können. Diese Umstände können besonders belastend oder traumatisch sein, wenn sie so schwerwiegend sind, dass das Jugendamt einschreitet oder das Kind aus der Familie nimmt. Zu den widrigen Umständen gehören: Tod der Eltern, psychische Probleme, Drogenmissbrauch, aber manchmal auch Kindesmisshandlung, einschließlich Gewalt, sexueller Übergriffe oder Vernachlässigung.
Originalpublikation
Jackisch, J., van Raalte, A.: The contribution of childhood adversity to adult socioeconomic gradients in mortality: A Swedish birth cohort analysis. Social Science & Medicine (2025). DOI: 10.1016/j.socscimed.2024.117627.
Keywords
Mortalität, Ungleichheiten, schwierige Kindheit, Kohortenstudie