15. Mai 2023 | News | Systematic Literature Review

Fertilität nach einem Katastrophenfall – Versuch einer unvoreingenommenen Betrachtung

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Die Auswirkungen einer Katastrophe beeinflussen, ob, wann und wie viele Kinder Menschen bekommen – eine kritische Größe menschlichen Verhaltens, die zu den intimsten Entscheidungen im Leben gehört. Eine aktuelle Systematic Literature Review untersucht, wie sich die Fertilität nach solch einschneidenden Ereignissen verändert. Das Besondere daran: Die Wissenschaftler*innen haben versucht die Auswahl der geprüften Studien non-biased, also unvoreingenommen, durchzuführen.

50 Studien haben Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Institutes für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock für ihre Systematic Literature Review ausgewertet. Die vorliegende Studie stellt einen seltenen Versuch dar, den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Frage wie sich Fertilität nach Katastrophen verändert, zu bewerten. Die Auswahl der Studien passierte nicht „von Hand“. Dem Forscher*innenteam war es vor allem wichtig eine Methode zu finden, um Bias (Voreingenommenheit) bei der Auswahl der Beiträge zu minimieren. „Oft werden Studien zur Überprüfung ausgewählt, weil sie den Forscher*innen bereits bekannt sind. Oder es werden nur englischsprachige Studien ausgewählt, wenn kein Fachwissen für nicht-englische Sprachen vorhanden ist“, erklärt Susie Lee vom MPIDR. Das Team hat mehr als ein halbes Jahr lang daran gearbeitet, die richtigen Studien zu finden. „Es war von Vorteil, dass wir uns alle mit Fertilität beschäftigen, aber unterschiedliche Forschungshintergründe haben, die von Biologie über Demografie bis hin zu Ökonomie und Soziologie reichen. Außerdem sind wir ein multinationales Team und mussten uns nicht auf englische Studien beschränken“, so Susie Lee weiter.

Transparente Forschung

Den Prozess von der Durchsicht und Auswahl der Studien bis hin zu den ausgewählten Daten der 50 Studien hat das Team genau dokumentiert. Es wurden Suchstrategien und Kriterien für die Studienauswahl entwickelt, die so eindeutig und reproduzierbar wie möglich sind. Dabei haben sich die Wissenschaftler*innen auf die PRISMA-Richtlinie gestützt. Diese Richtlinie enthält eine Liste von Elementen, die Forschenden helfen sollen, Studien mit minimaler Voreingenommenheit und auf transparente Weise zu identifizieren, auszuwählen, zu bewerten und zusammenzufassen. „Wir haben unser Überprüfungsprotokoll vorregistriert und später die Suchergebnisse auf der Projektwebsite veröffentlicht. Im besten Fall können Wissenschaftler*innen unsere Überprüfung in Zukunft aktualisieren und anhand der von uns genutzten Kriterien verwenden – und hoffentlich verbessern”, so Susie Lee. Nachzulesen ist die ausführliche Dokumentation hier.

Insgesamt negative Auswirkungen auf die Fertilität, doch die Mechanismen sind komplex

Die in der Studie betrachteten Studien bestimmen die Veränderungen der Fertilität nach konzentrierter, unvorhergesehener Exposition gegenüber Katastrophen. Berücksichtigt wurden Naturkatastrophen (z. B. Krankheitsausbrüche, wetterbedingte Katastrophen) und technologische Katastrophen (z. B. Atomunfälle). Die Studie umfasst 24 verschiedene Katastrophen in 52 Ländern über einen Zeitraum von mehr als einhundert Jahren in einem breiten Spektrum von Fertilitätskontexten. Die Untersuchung ergab, dass sich Katastrophen je nach Art der Katastrophe insgesamt negativ auf die Fertilität auswirken. Wenn überhaupt ein Anstieg zu verzeichnen war, dann in Studien, die sich auf wetterbedingte Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Wirbelstürme bezogen. Das Review-Team hat mehr als einhundert Mechanismen ermittelt, die in den untersuchten Arbeiten zur Erklärung der Auswirkungen von Katastrophen auf die Fertilität herangezogen wurden. Die Mechanismen werden in 13 thematische Gruppen eingeteilt, die für künftige Forscher von Nutzen sein könnten. 

Sechs methodologische Empfehlungen für zukünftige Forschung

Die Zahl der Publikationen zum Zusammenhang zwischen Katastrophen und Fertilität wächst schnell und wird angesichts der COVID-19-Pandemie und des erhöhten Katastrophenrisikos durch den Klimawandel voraussichtlich noch weiter zunehmen. Um diese kritische Forschung zu fördern, enthält der Bericht sechs methodologische Empfehlungen. "Unsere Studie liefert schwache Belege für einige gängige Vorstellungen über den Zusammenhang zwischen Katastrophen und Fertilität. Zum Beispiel deuten die 50 untersuchten Studien nicht darauf hin, dass ein Anstieg der Fertilität in einem Umfeld mit hoher Fertilität wahrscheinlicher ist. Um einer eindeutigen Antwort näher zu kommen, brauchen wir mehr Forschung mit besseren Methoden. Wir haben festgestellt, dass die derzeitige Literatur in Bezug auf Umfang und methodische Qualität nur begrenzt aussagekräftig ist", sagt Susie Lee.

Mit Teamwork zum Ergebnis

„Das Herzstück dieser Studie war die Datenerhebung selbst. Die Identifizierung der zu überprüfenden Studien und die Gewinnung von Informationen wurden auf Grundlage strenger Diskussionen zwischen den Teammitgliedern beschlossen. Die Studie wäre nicht möglich gewesen ohne die beeindruckende Teamarbeit der Co-Autoren und die Hilfe vieler Kollegen, die bei der Übersetzung der nicht-englischen Dokumente geholfen haben“, erklärt Susie Lee abschließend.

 

Originalpublikation

Lee, D. S.; Batyra, E.; Castro Torres, A. F.; Wilde, J.: Human fertility after a disaster: a systematic review. Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences (2023). DOI: https://doi.org/10.1098/rspb.2023.0211

Autoren und Institutionen

D. Susie Lee, Max Planck Institute for Demographic Research, Rostock

Ewa Batyra, Max Planck Institute for Demographic Research, Rostock, Centre for Demographic Studies (CED), Barcelona

Andres Castro, Max Planck Institute for Demographic Research, Rostock, Centre for Demographic Studies (CED), Barcelona

Joshua Wilde, Max Planck Institute for Demographic Research, Rostock, Institute of Labor Economics (IZA), Bonn

 

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