25. August 2023 | News

Immer mehr Menschen wollen kinderlos bleiben

[BLICKPUNKT]

Studie belegt die Veränderungen bei individuellen Kinderwünschen in Finnland

Die Fertilität sinkt - vor allem in den westlichen Ländern. In einem Land wie Finnland ist das besonders erstaunlich. Denn hier herrschen eigentlich hervorragende Bedingungen für Familien. Bisherige Erklärungsversuche wie mangelnde Geschlechtergerechtigkeit oder sozioökonomische Gründe für den Geburtenrückgang greifen nicht. Es muss also noch andere Einflussfaktoren geben. Wissenschaftler*innen der Universität Helsinki, des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, des Population Research Institute und der Kela (Social Insurance Institution of Finland) haben untersucht, ob sich der Kinderwunsch bei jüngeren Generationen verändert hat. Die Studie untersuchte nicht, ob dies einen direkten Einfluss auf die Fertilität hat, stellt aber fest, dass immer mehr Menschen kinderlos bleiben wollen. Ob diese Veränderung des Kinderwunsches für den Rückgang der Geburtenrate verantwortlich ist, bleibt offen und sollte Gegenstand zukünftiger Forschung sein.

Verschiedene Familienmodelle: In Finnland entscheiden sich immer mehr Menschen, vor allem in den jüngeren Generationen, für ein Leben ohne Kinder. © iStockphoto.com/Rudzhan Nagiev

„In den vergangenen 30 Jahren war das Zwei-Kind-Ideal in Ländern mit hohem Einkommen vorherrschend. Die Fertilitätsraten spiegeln dies jedoch nicht wider. Dabei haben wir uns für die persönliche ideale Kinderzahl interessiert, d.h. für den persönlichen Kinderwunsch der Menschen, und nicht für das, was sie als allgemeine ideale Kinderzahl ansehen. Welchen Einfluss haben Bildung, Einkommen und Arbeitssituation auf diesen Wert?“, erklärt Kateryna Golovina, Wissenschaftlerin an der University of Helsinki, die Forschungsfragen der Studie.

In der Studie wurden Daten des finnischen Familienbarometers aus den Umfragen 2007 bis 2018 für die Geburtskohorten 1970-74, 1975-79, 1980-84, 1985-89 und 1990-94 verwendet. Analysiert wurden die persönliche ideale Kinderzahl in verschiedenen Lebensphasen (Altersstufen) und der Zusammenhang zwischen der idealen Kinderzahl und dem aktuellen sozioökonomischen Status der Befragten.

Für Männer und Frauen bereinigte Vorhersagen der mittleren idealen Kinderzahl nach Alter und Geburtskohorte. © University of Helsinki / MPIDR

Die Auswertung der Daten zeigt, dass die ideale Kinderzahl in den jüngeren Geburtskohorten abnimmt. So wünschten sich die Männer der Geburtsjahrgänge 1975 bis 1979 im Alter von 25 Jahren durchschnittlich 2,6 Kinder, die Frauen sogar 2,9. Bei den Geburtsjahrgängen 1985 bis 1989 wünschten sich die Männer im Alter von 25 Jahren dagegen nur noch 2,1 Kinder, bei den Frauen sank die durchschnittlich gewünschte Kinderzahl auf 2,3 Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass in diesen Kohorten die sozioökonomische Situation nicht so sehr von Bedeutung ist und auch Veränderungen dieses Parameters im Zeitverlauf keine große Rolle für die aktuelle Entwicklung spielen. „Vielmehr erleben wir eine grundlegende Änderung der Einstellung zum Kinderkriegen. Das liegt nicht daran, dass die ideale Kinderzahl bei denen, die sich Kinder wünschen, sinkt, sondern dass sich das Ideal eines Lebens ohne Kinder ausbreitet, dass also immer mehr Menschen kinderlos bleiben wollen“, sagt Natalie Nitsche vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung. Während beispielsweise in den Geburtskohorten 1975 bis 1984 nur 4 bis 5 Prozent der Männer und 2 bis 9 Prozent der Frauen im Alter von 25 Jahren angaben, ein Leben ohne Kinder führen zu wollen, verfolgten in den Kohorten 1985 bis 1994 bereits 25 Prozent der Männer und rund 22 Prozent der Frauen im gleichen Alter dieses Lebensideal.  

Allerdings ist über den gesamten Beobachtungszeitraum ein kontinuierlicher Rückgang der idealen Kinderzahl zu beobachten. „Wir wissen in der Forschung zwar, dass die ideale Kinderzahl in den vergangenen Jahrzehnten gesunken ist, aber wir wissen wenig darüber, ob es auch einen Kohortenwandel im Kinderwunsch gibt, ob also jüngere Generationen sich weniger Kinder wünschen als ältere, weil es einfach nur wenige Datensätze gibt, die diese Perspektive zulassen. Sie erweist sich aber als vielversprechendes Instrument, um ideelle Veränderungen abzubilden“, sagt Nitsche. „Unsere Studie zeigt, dass sich die Einstellung zur Elternschaft in Finnland verändert hat und sich eine neue Kultur rund um das Kinderkriegen entwickelt. Es gibt immer mehr Menschen, die keine Kinder wollen. Es wird interessant sein zu sehen, ob der Wunsch nach Kinderlosigkeit im Alter von 25 Jahren auch später noch besteht. Um diese Entwicklung besser zu verstehen, ist auf jeden Fall weitere Forschung in diesem Bereich notwendig“, so die Forscherin.

Originalpublikation

Golovina, Kateryna; Nitsche, Natalie; Berg, Venla; Miettinen, Anneli, Rotkirch, Anna; Jokela, Markus: Birth cohort changes in fertility ideals: Evidence from repeated cross-sectional surveys in Finland in European Sociological Review. DOI: https://doi.org/10.1093/esr/jcad048

Autoren und Affiliationen

Kateryna Golovina, Helsinki Collegium for Advanced Studies der University of Helsinki 

Natalie Nitsche, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

Venla Berg, Population Research Institute, Väestöliitto, Helsinki and Institute of Criminology and Legal Policy, University of Helsinki

Anneli Miettinen, Kela, the Social Insurance Institution of Finland, Helsinki

Anna Rotkirch, Population Research Institute, Väestöliitto, Helsinki

Markus Jokela, Department of Psychology and Logopedics, Faculty of Medicine, University of Helsinki

Keywords

Fruchtbarkeit, ideale Kinderzahl, kinderlos, kinderfrei, Kohortenwechsel, Bildung, Einkommen, Erwerbsstatus

Kontakt

Leiterin des Arbeitsbereichs Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen

Silvia Leek

E-Mail

+49 381 2081-143

Redakteurin Wissenschaftskommunikation

Silke Schulz

E-Mail

+49 381 2081-153

Was nun?

Zur Startseite

Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock ist eines der international führenden Zentren für Bevölkerungswissenschaft. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.