09. September 2014 | News

Länger leben dank Wiedervereinigung

Vom längeren Leben dank Mauerfall profitieren am stärksten die über 60-Jährigen. © xxee | REHvolution.de / photocase.com

Hätte es keine Wiedervereinigung gegeben, wären ostdeutsche Männer im Jahr 2011 im Durchschnitt 6,2 Jahre früher gestorben als im vereinigten Deutschland. Frauen hätten 4,2 Jahre weniger gelebt. Das ergeben Modellrechnungen des MPIDR-Forschers Tobias Vogt.

Hätte es keine Wiedervereinigung gegeben, wären ostdeutsche Männer im Jahr 2011 im Durchschnitt 6,2 Jahre früher gestorben als im vereinigten Deutschland. Frauen hätten 4,2 Jahre weniger gelebt. Das ergeben Modellrechnungen, mit denen Tobias Vogt vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock bis zum Jahr 2011 projiziert hat, wie sich die Lebenserwartung bei Geburt auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entwickelt hätte, wenn die Mauer nicht gefallen wäre. Im Jahr 2011 hätte ein in Ostdeutschland geborenes Mädchen demnach ein Leben von 78,7 Jahren erwarten dürfen (statt tatsächlich 82,9 Jahren). Ein Junge hätte eine Aussicht auf 70,9 Jahre gehabt (statt tatsächlich 77,1).

Auch in einer hypothetisch weiter existierenden DDR wäre die Lebensspanne ge­stiegen, aber wesentlich schwächer als in Wirkl­ichkeit: Frauen hätten seit 1990 nur 2,4 Jahre gewonnen (statt 6,6 Jahren im vereinigten Deutschland) und Männer lediglich knapp zehn Monate (statt tatsächlich 7,8 Jahre). „Der positive Einfluss der Wieder­vereinigung auf die Lebenserwartung im Osten ist erstaun­lich“, sagt Tobias Vogt. Selbst in Japan, dem Land mit der höchsten Lebensspanne der Welt, seien die Werte nicht so rapide gestiegen wie im Osten seit der Wende.

Über 60-Jährige profitierten am meisten vom Mauerfall

Vom längeren Leben profitierten am stärksten die über 60-Jährigen, wie Vogt herausfand. Denn wenn die Lebenserwartung als Ganzes steigt, liegt das daran, dass die Sterberate in den einzelnen Altersstufen zurückgeht. Die Sterberate entspricht dem Risiko, in einem bestimmten Alter zu sterben. Während die Verbesserungen bei der Kindersterblichkeit und bei Menschen bis 40 Jahren nur eine kleine Rolle spielten, sank die jährliche Sterbe-Wahrscheinlichkeit der Älteren beachtlich: „Bei den Männern gehen die Zuwächse in der Lebenserwartung zu 30 Prozent auf das Konto der 40- bis 60-Jährigen, und zu 60 Prozent auf das der über 60-Jährigen.“ Bei Frauen wird der Trend noch deutlicher: Für die sechs seit der Wende gewonnenen Lebensjahre ist zu 85 Prozent die Generation 60+ verantwortlich.

© MPIDR

In der alten Bundesrepublik hatten die Älteren bereits in den 1970er und 80er-Jahren von massiven Verbesserungen der Sterberaten profitiert. Vor allem die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauferkrankungen sank deutlich, weil es neue Behandlungsmethoden gab. In der DDR standen sie damals insbesondere  den Älteren noch nicht zur Verfügung. Die Sterberaten blieben hoch, und die Steigerung der Lebenserwartung fiel im Vergleich zum Westen zurück. Bis 1988 war die Ost-West-Lücke der mittleren Lebensspanne für Frauen auf fast drei und für Männer auf gut zweieinhalb Jahre angewachsen.

Erst seit 1989 schließt sich die Schere wieder – wenn auch für beide Geschlechter unterschiedlich schnell. West-Frauen lebten 2011 im Durchschnitt nur noch gut einen Monat länger als Ost-Bürgerinnen, die Männer aus den alten Bundesländern hatten noch 14 Monate Vorsprung. „Ohne die Wende wäre die Ost-West-Schere jedoch weiter aufgegangen“, sagt Tobias Vogt: Für Frauen bis auf 4,3 Jahre, für Männer bis auf 7,4.

Eindeutige Ursache unklar

„Eine einzelne Ursache für die rasante Verbesserung von Sterblichkeit und Lebenserwartung im Osten lässt sich bisher nicht dingfest machen“, sagt Tobias Vogt. Wahrscheinlich sei sie vor allem eine Folge der insgesamt seit der Wende besseren medizinischen Versorgung und des verbesserten Lebensstandard. Andere gesundheitsrelevante Faktoren wie den Rückgang der Umweltverschmutzung oder Veränderung im Lebenswandel dürften weniger eine Rolle spielen, glaubt MPIDR-Forscher Vogt. Denn die Lebenserwartung begann in verschmutzen Regionen genau so bald und rasant anzusteigen wie in sauberen Gebieten. Und Verhaltensänderungen wie etwa Zigarettenkonsum hätten sich erst langfristig ausgewirkt.

„Die Aufholjagd der Ostdeutschen bei der Lebenserwartung begann aber quasi gleich nach dem Fall der Mauer“, sagt Tobias Vogt. „Der Zugewinn an Lebenszeit ist damit eine der größten, wenn auch oft übersehenen Errungenschaften der deutschen Einheit.“

Hinweis an die Presse
Diesem Text liegt keine aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichung zugrunde. Die Modellrechnungen zur Lebenserwartung stammen aus einem Artikel in der Fachzeitschrift Gerontology (2013), in der Daten bis zum Jahr 2008 ausgewertet wurden. Das Modell wurde jedoch aktuell um die neusten verfügbaren Daten aus den Jahren 2009 bis 2011 ergänzt.

Mehr Informationen

Tobias Vogt: How many years of life did the fall of the Berlin Wall add? A projection of East German life expectancy, Gerontology (online) (DOI 10.1159/000346355)

Dossier 25 Jahre Mauerfall - Ein Übersicht über Ost-West-Forschungsthemen am MPIDR

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