08. April 2013 | News | Interview

Migrationen vorhersehen

In diesem Interview erklärt der Migrations-Forscher Frans Willekens, wann sich Prognosen über Wanderbewegungen machen lassen. Und für welche Vorhersagen die Daten der Statistik-Ämter nicht brauchbar sind. Frans Willekens war viele Jahre Leiter des Netherlands Interdisciplinary Demographic Institute (NIDI). Ab April 2013 wird er eine Forschungsgruppe am MPIDR leiten.


Herr Willekens, Sie haben viele Jahre Ihrer Forschung dem Thema Migration gewidmet – wird das auch Ihr Thema am MPIDR sein?
Ja, ich werde mich weiterhin mit Migration beschäftigen - vor allem mit der internationalen Migration in Richtung Europa. Wir wollen besser verstehen, was die Gründe für Migration sind. Daraus ergeben sich viele Frage. Um nur ein paar zu nennen: Welche Faktoren beeinflussen die Entscheidung zu emigrieren? Was sind Hinderungsgründe und welche Faktoren erleichtern eine Auswanderung? Wie wichtig sind Familienmitglieder? Welche Rolle spielen Freunde, die schon woanders leben?

Kennt man denn heute schon Faktoren, die ausschlaggebend sind für die Entscheidung auszuwandern?
Natürlich – es gibt eine ganze Reihe gut untersuchter Faktoren. Menschen mit einer guten Ausbildung haben eher die Tendenz auszuwandern als Menschen ohne Ausbildung. Ökonomische Faktoren sind auch sehr wichtig: Jemand, der auswandern will, braucht Geld. Deswegen entscheiden sich Menschen, die Unterstützung von ihrer Familie bekommen, eher wegzugehen. In vielen Fällen heißt das: Die Familie legt Geld zusammen, um ein Familienmitglied nach Europa oder Amerika zu schicken. Ein weiteres Beispiel: Wenn jemand einen Bekannten hat, der bereits ausgewandert ist, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass auch er oder sie emigriert. Und wahrscheinlich in dasselbe Land. Das nennen wir den “feedback-Effekt“.

In letzter Zeit berichten Zeitungen gehäuft von Osteuropäern, die in großer Zahl in die deutschen Großstädte ziehen. Lässt sich vorhersagen, wie viele kommen werden?
Wenn so ein Migrations-Strom bereits begonnen hat, lassen sich durchaus Vorhersagen mithilfe von Daten der Statistik-Ämter machen. Aber diese Daten erlauben nur sehr kurzfristige Prognosen – zum Beispiel über ein Jahr hinweg. Die Ausgangssituation kann sich aber schnell ändern und das hat zur Folge, dass das Ausmaß der Migration, sowie die Richtung und Zusammensetzung der Migrationsströme sich ändern.

In diesem speziellen Fall ist es sicherlich hilfreicher, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Wir wissen aus der Geschichte, dass der Beitritt neuer Länder zu der EU kurzfristig immer zu Migration geführt hat. Aber die gefürchteten riesigen Auswanderungs-Ströme hat es nie gegeben. In der Regel kehren die Menschen in ihre Heimatländer zurück, wenn sich dort die wirtschaftliche Lage verbessert hat. Denn der Hauptgrund für Migration ist die unterschiedliche geografische Verteilung von Möglichkeiten, das eigene Leben und das Leben der Kinder zu verbessern.

Für langfristige Prognosen eignen sich die Daten der Statistik-Ämter nicht.

Wieso sind diese langfristigen Vorhersagen nicht möglich?
Der Grund ist, dass diese Daten nicht Ursache, sondern Ergebnis von Wanderbewegungen sind. Vorhersagen, die anhand von Erfahrungswerten getroffen werden, sind nur dann zuverlässig, wenn die Systeme stabil sind, also die Bedingungen in den Ländern unverändert bleiben und die Menschen, die gleichen Entscheidungen treffen wie in der Vergangenheit. Aber diese äußeren Faktoren verändern sich, zum Beispiel dann, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die Migrationsströme verhindern sollen. Oder aber auch dann, wenn es im Heimatland politische Veränderungen gibt, oder Naturkatastrophen.

Deswegen werden wir uns in dem aktuellen Forschungsprojekt vor allem dem Ursprung von Migrationen widmen. Wir wollen herausfinden, warum Menschen auswandern möchten, wie sich dieser Wunsch über die Zeit und über den Lebenslauf hinweg verändert und wie sie sich dem Migrationsstrom anschließen. Das Ziel ist, zu verallgemeinern. Deswegen werden wir Modelle entwickeln, die aktuelle und zukünftige Wanderungsbewegungen mit individuellen Entscheidungen verknüpfen. Also Entscheidungen, die Individuen und Familien treffen, um sich ein besseres Leben zu ermöglichen oder Entscheidungen, die sie als Antwort auf Grenzen und Möglichkeiten, die ihnen durch politische Rahmenbedingungen gesetzt werden, treffen. Diese Methode nennt man „Agent based Modeling and Simulation“. Man könnte auch sagen: Wir versuchen Modelle zu erstellen, die beschreiben, wie die Menschen denken und handeln.

Frans Willekens war Professor für Bevölkerungsstudien an der Universität Groningen und Direktor des Netherlands Interdisciplinary Demographic Institute (NIDI) in Den Haag. Anfang 2011 kehrte er in seine Heimatstadt in Flandern, Belgien zurück. Im April 2013 wird er nach Rostock ziehen, um am MPIDR eine Forschungsgruppe zur Erforschung von Migration aufzubauen.

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