09. Juli 2019 | News | Neue Publikation

Studie untersucht, ob Männer und Frauen ihre eigene Gesundheit unterschiedlich bewerten

© laflor/ iStockphoto.com

Dass Männer zwar harte Typen sind, bei kleinen Zipperlein aber gerne wehleidig werden, gehört zu einem häufigen Klischee. Andererseits sehen Statistiker, dass Frauen ihre Gesundheit oft schlechter einschätzen und häufiger zum Arzt gehen als Männer. Wer also ist nun das sensiblere Geschlecht? Eine neue Studie ist dieser Frage nachgegangen.

(Der folgende Text basiert auf der wissenschaftlichen Veröffentlichung Is the story about sensitive women and stoical men true? Gender differences in health after adjustment for reporting behavior der MPIDR-Forscherin Anna Oksuzyan und wurde auf Deutsch bereits mit kleinen Änderungen in der Ausgabe 2/2019 des Quarterlys Demografische Forschung Aus Erster Hand veröffentlicht.)

Anna Oksuzyan und ihre Kollegen vom Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung verglichen dafür Daten aus zwölf europäischen Ländern, die im Rahmen der „SHARE“-Studie (Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe) gesammelt wurden. Dort wird unter anderem nach einer Einschätzung der eigenen allgemeinen Gesundheit gefragt, die auf einer Skala von 1 bis 5 (sehr schlecht bis sehr gut) eingestuft werden muss.

Die Antworten zeigen, dass Frauen dem eigenen Empfinden nach eine schlechtere Gesundheit haben als Männer (s. Abb.1). Wie zu erwarten, steigt zudem mit dem Alter sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen der Anteil derjenigen, die angeben eine schlechte Gesundheit zu haben: Gaben dies bei den 50- bis 59-jährigen Frauen nur 5,9 Prozent an, so sind es bei den über 80-jährigen bereits mehr als 20 Prozent. Bei den Männern steigt der Anteil von der jüngsten bis zur ältesten Gruppe von 5,7 auf 15,5 Prozent. Die Geschlechterunterschiede nehmen also mit dem Alter zu – von 0,2 Prozent in der jüngsten auf fast 5 Prozent in der ältesten Gruppe.

Aber spiegeln diese Selbstauskünfte die tatsächliche Gesundheit der Befragten wieder, oder gibt es bestimmte soziale Gruppen, z.B. ältere Menschen, Frauen, Akademiker, die ihre Gesundheitsprobleme übertreiben oder herunterspielen? Um diese Frage zu beantworten, konnten Anna Oksuzyan und ihre Kollegen auf weitere Daten der SHARE-Studie zurückgreifen. Denn dort wurden auch konkrete Krankheiten, Beschwerden und die Fitness der Menschen abgefragt und erfasst. Von Parkinson über Atemwegserkrankungen, Depressionen, Bluthochdruck oder Übergewicht konnten so insgesamt 21 verschiedene Gesundheitsangaben in die Analyse einfließen.

Die Differenz zwischen der Gesundheit von Männern und Frauen ist bei den errechneten, bereinigten Werten noch größer als bei der ursprünglichen Selbsteinschätzung. Dass Frauen sensibler sind oder schneller über gesundheitliche Leiden klagen, stimmt demnach nicht. Quelle: SHARE, eigene Berechnungen © Grafik: MPIDR

Aus den vorhandenen Daten ermittelten die Forscher zunächst den Idealzustand der Gesundheit. Anschließend berechneten sie, wie einzelne Krankheiten oder Fitness-Probleme im Alltag diesen Idealwert vermindern. Parkinson etwa, eine schlechte Mobilität sowie ein erlebter Herzinfarkt oder Schlaganfall wirken sich besonders negativ auf den Gesundheitszustand aus. Insgesamt konnten die Wissenschaftler so für jeden Befragten den „echten“ Gesundheitszustand errechnen. Diese errechneten bereinigten Werte teilten die Wissenschaftler ebenfalls den fünf Kategorien von „sehr gut“ bis „sehr schlecht“ zu, so dass sie mit den Selbsteinschätzungen der Befragten besser vergleichbar sind.

Stellt man den Werten aus der Selbstauskunft diesen errechneten Gesundheitszustand gegenüber, so zeigt sich, dass Frauen nicht sensibler sind oder ihre Leiden übertreiben. Im Gegenteil: Der Unterschied zwischen Männern und Frauen bei den bereinigten Werten ist größer als bei den Selbstauskünften, vor allem in den jüngeren Altersgruppen (s. Abb. 1). Außerdem machen die Analysen deutlich, dass Frauen ihre Gesundheit häufiger und stärker überschätzen als Männer.

Gleichzeitig lässt sich bei beiden Geschlechtern ein sehr ähnlicher Trend in den verschiedenen Altersgruppen feststellen: Während 50- bis 59-jährige Frauen und Männer ihre Leiden übertrieben, schätzten die Älteren, also vor allem die über 80-Jährigen, ihren Gesundheitszustand viel besser ein, als er ihren Gebrechen und Krankheiten zufolge sein dürfte.

Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei den Befragten, die angeben, eine gute Gesundheit zu haben: Auch hier geben weniger jüngere Menschen an, eine gute Gesundheit zu haben, als es den Krankheitsdaten zufolge zu erwarten wäre. Bei älteren Befragten – ganz gleich ob Mann oder Frau – ist das Gegenteil der Fall. Darüber hinaus gibt es deutlich weniger Frauen als Männer mit guter Gesundheit. Der Geschlechterunterschied nimmt mit den Jahren zu und ist bei den errechneten Werten größer als bei den Selbstauskünften der Befragten.

Die Vermutung, dass die schlechteren Werte für die Frauen daraus resultieren, dass diese ihre Leiden überbewerten und empfindlicher sind, bestätigt die Studie also nicht. Sie stellt vielmehr die vorherrschenden Geschlechterstereotypen in Frage, bei denen „sensible“ Frauen ihre gesundheitlichen Probleme übertreiben und duldsame Männer sie eher verschweigen. Sowohl Forscher als auch Mediziner sollten daher Geschlechterstereotypen verwerfen und die von Frauen und Männern berichteten Gesundheitsprobleme gleichermaßen ernst nehmen, fordern die Autoren der Studie.

Mitautorin der wissenschaftlichen Studie: Anna Oksuzyan

Literatur: Oksuzyan, A., M. J. Dańko, J. Caputo, D. Jasilionis and V.M. Shkolnikov: Is the story about sensitive women and stoical men true? Gender differences in health after adjustment for reporting behavior. Social Science and Medicine 228(2019), 41-50.DOI: 10.1016/j.socscimed.2019.03.002

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