31. März 2003 | Pressemitteilung

Das "vernachlässigte" Geschlecht in der Familienforschung:
Analysen zum Heirats- und Fertilitätsverhalten von Männern

Männer sind bislang eine vernachlässigte Gruppe bei der Erklärung von Familiengründung und -entwicklung. Die Veränderungen im Leben von Männern werden nur selten als eigenständiger Beitrag zum Wandel partnerschaftlicher und familiärer Lebensformen thematisiert. Finden Männer Eingang in theoretische Überlegungen und empirische Analysen, so zumeist um das Fertilitätsverhalten von Frauen besser erklären zu können. Aber die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und veränderte Erwartungen an Männer als "aktive Väter" legen es nahe, dass auch Männer zum Wandel von Partnerschaft und Familie beitragen.

Dr. Angelika Tölke vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR), Rostock, und Dr. Karsten Hank von der Universität Mannheim haben diese Situation zum Anlass genommen, einen Workshop über Männer durchzuführen. Hierzu waren im Februar Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen an das MPIDR eingeladen. In dem Workshop wurden empirische Arbeiten zur Bedeutung der Herkunftsfamilie, der Ausbildung und beruflichen Entwicklung, des sozialen Netzwerkes sowie über Persönlichkeitsstrukturen für Heirat und Familiengründung präsentiert.

Im folgenden wird eine kleine Auswahl von (vorläufigen) Ergebnissen aus vier noch laufenden Projekten wiedergegeben. Diese Projekte thematisieren zum einen den strukturellen Zusammenhang von Beruf und Familiengründung bei Männern und zum anderen den Kinderwunsch sowie neue Arrangements von Arbeit und Familie bei jungen Paaren.

Projekt:
Die Bedeutung von Herkunftsfamilie, Berufsbiografie und Partnerschaften auf den Übergang zur Ehe und zur Vaterschaft (Angelika Tölke, MPIDR Rostock)

Stichprobe: Alte Bundesländer; Männer zwischen 30 und 55 Jahren

Beruflichen Unsicherheiten kommt bei der Entscheidung für eine Ehe eine erschwerende und verzögernde Wirkung zu. Dies bezieht sich auf die Phase des Berufseinstiegs ebenso wie auf den weiteren Berufsverlauf. Teilzeitarbeit in einer frühen Erwerbsphase, als Ausdruck einer noch nicht vollständigen Integration in das Erwerbsleben bei Männern, reduziert die Wahrscheinlichkeit zu heiraten. Im Verlauf des weiteren Erwerbslebens sind vor allem Phasen der Arbeitslosigkeit und der Status bzw. die Arbeitsbedingungen als Selbstständiger für eine Familiengründung hinderlich. Arbeitslosigkeit bedeutet ökonomisch eingeschränkte Ressourcen und beeinträchtigt die weitere berufliche Entwicklung. Außerdem verunsichert Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die zukünftigen Handlungschancen. Auch die unsicheren Zukunftsperspektiven von Selbstständigen sowie ihr häufig überdurchschnittlich hoher Arbeitseinsatz erschweren eine Familiengründung.

Berufliche Aufstiege dagegen beschleunigen eine Eheschließung. "Karrieremänner" haben zumeist eine Familiengründung aufgeschoben, um sich zunächst auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren. Tritt der Aufstieg ein, holen sie beschleunigt eine Heirat und Elternschaft nach. Diese Ergebnisse (Auswirkungen von Erwerbsunterbrechungen, Teilzeitarbeit und Karriere) verweisen auf ein noch stabiles traditionelles Verhaltensmuster, nämlich dass der Mann sich die "Ernährerrolle" zuschreibt bzw. diese ihm zugeschrieben wird. Der "Test" auf "Ernährer-Qualitäten" für eine potenzielle Familie erfolgt bereits bei der Entscheidung für eine Heirat.

Aber auch frühe Erfahrungen in der Herkunftsfamilie haben auf das eigene Verhalten als erwachsener Mann Einfluss. Eine stabile Ehe der Eltern und mit mindestens einem Geschwister aufgewachsen zu sein, also sozusagen der Prototyp einer intakten und vollständigen Familie, bestärkt bei Männern die Neigung selbst zu heiraten. Im Hinblick auf die Entscheidung für ein eigenes Kind dagegen kann eine stabile Partnerschaft bzw. die Partnerin schwierige Trennungserfahrungen aus der Kindheit (Tod, Scheidung der Eltern) relativieren, d.h. belastende Kindheitserfahrungen spielen zwar bei dem Schritt zur Ehe eine zentrale Rolle, aber nicht mehr bei dem Schritt zur Elternschaft. Geschwister zu haben wirkt sich positiv auf die Neigung sowohl zur Heirat als auch zur Vaterschaft aus. Auch weist die Existenz von Geschwistern auf eine starke Familienorientierung der Eltern hin, diese scheint an die nächste Generation weitergegeben zu werden.

Projekt:
Männer leben. Studie zu Lebensläufen und Familienplanung (Cornelia Helfferich u.a., Evangelische Fachhochschule Freiburg; Universität Freiburg)

Stichprobe: Gelsenkirchen, Freiburg Stadt/Land. Zunächst wurden niedrig qualifizierte Männer (Hauptschule+Lehre) analysiert, weitere Gruppen folgen.

Für niedrig qualifizierte Männer erfolgt der Berufseintritt früh - dem Biografie-Konzept dieser Männer zufolge /i>"zu früh", um eine Familie zu gründen. Motive des sozialen Aufstiegs, der Anschaffungen, der Reisen und des Sich-Ausprobierens sprechen für Männer dieser Bildungsgruppe für einen Aufschub der Vaterschaft. Sie präsentieren ihre Biografie mit spezifischen Vorstellungen von zwei Lebensphasen - die Jugend als "Abenteurer", dann "Familienvater", begleitet von dem "richtigen" Alter für diese "biografischen Meilensteine":

Jugend: "wilde Zeit"
Die Phase der Jugend wird geschildert als Initiationszeit auf dem Weg, ein Mann zu werden. Hierfür sind charakteristisch 1.) der Beruf und ökonomische Selbstständigkeit 2.) das Sich-Ausprobieren in der Freizeit und 3.) das Sammeln von Erfahrungen mit Beziehungen. Es ist die Zeit der erwarteten Abweichung und der Aneignung der Freizeitprivilegien (das Leben genießen, die Jugend ausnutzen, Alkoholkonsum, Freundinnen wechseln, kleinere/kürzere/mehrere Beziehungen).

Erwachsenen-/Familienphase: "was Festes"
Nach der Eheschließung wird die Männerwelt der Jugendzeit transformiert in die männliche Berufswelt; die Frau ist für die Familie zuständig. Es werden Brücken zwischen der Berufs- und Familienwelt gebaut, zum Beispiel: Am Wochentag gehört der Mann den Kollegen und der Männerwelt (inklusive Trinken nach Feierabend), am Wochenende wird etwas mit den Kindern unternommen. Dabei wird die Konstruktion der getrennten Welten aufrechterhalten.

Männer der niedrigen Bildungsgruppe nehmen sich im beruflichen Bereich als selbstständig und autonom gestaltend, im familiären Bereich dagegen als kollektiv, also mit der Partnerin gemeinsam, gestaltend wahr. Vorstellungen von Familie werden als gemeinsame "klar, wollten wir" oder als Selbstverständlichkeiten deklariert. Dieser anscheinend selbstverständliche Konsens wird aber erst hergestellt, indem bei der Wahl der Partnerin geprüft wurde, ob sie dieselben Familienvorstellungen hat. Es handelt sich keinesfalls um den blinden Nachvollzug einer Tradition, sondern um die geschickte Absicherung, dass die Partnerin das angestrebte Arrangement der Arbeitsteilung auch "mitmacht". Eine zweite Variante, wie das Private dargestellt wird, ist in dieser Bildungsgruppe, dass das Private als nicht geplant und zufällig geschildert wird (Zitate von befragten Männern: "und irgendwann - isch dann mol Kind komme und dann irgend paar Johr später ischs zweite Kind komme", "war eigentlich net plant, aber es isch halt einfach passiert", "wenn's kommt, dann kommt's").

Ein Ausblick auf andere soziale Gruppen (höhere Bildung) ergab, dass deren Ausführungen über ihre Biografie eher psychologisierend und als individuelle Entwicklungs- oder Reifungsgeschichten strukturiert sind. In Partnerschaften wird das kollektive "Wir", mit dem sich die gering Gebildeten präsentierten, in ein additives Familien-Subjekt "Ich-und-sie-und-sie-und-ich" umgewandelt. Männer- und Frauenwelten sind hier nicht strikt voneinander geschieden. Vertiefende Analysen zu diesen Bildungsgruppen werden folgen.

Projekt:
Vaterschaft - Wunsch und eigene Entscheidung (Holger von der Lippe, MPIDR Rostock)

Stichprobe: Kinderlose 30-jährige Männer in Ostdeutschland

Zu DDR-Zeiten waren die "Neuen Väter" kein Thema. Elternschaft war traditionell eher im kulturellen Leitbild "Unsere (berufstätigen) Muttis" verankert. Heute ist Elternschaft jedoch eine Wahlmöglichkeit, und auch die Männer müssen ihre eigenen Vorstellungen dazu entwickeln. Nach den Ergebnissen einer psychologischen Studie in Rostock zeigen sich unter den heute 30-Jährigen, die sich Kinder wünschen, zwei Verhaltensweisen: Die einen begreifen den Wunsch nach Elternschaft als (möglichen) Teil ihrer Identität und ihres eigenen Selbst, die anderen delegieren ihn größtenteils an die Partnerin.

Bei den 30-jährigen kinderlosen Männern dieser Studie zeigen sich verschiedene Qualitäten und Ausprägungen des individuellen Kinderwunsches. Natürlich gab es eine (wenn auch kleine) Gruppe von Männern ohne Kinderwunsch. Einige hatte das Thema bislang nie recht gestreift, andere lehnen Kinder bewusst ab, um Unabhängigkeit zu bewahren.

Für viele Männer mit einem starken Kinderwunsch jedoch (zumal die "Singles" unter ihnen) ist eine mögliche Vaterschaft ein bedeutsames "Identitäts-Projekt". Wenn sie über eine mögliche eigene Vaterschaft reflektieren, sprechen sie damit offensichtlich einen wichtigen Teil ihrer aktuellen oder zukünftigen Selbstdefinition an: Der Kinderwunsch wird durch reichhaltige Motive, Hoffnungen und Vorstellungen erklärt. Ein Leben ohne eigene Kinder erscheint ihnen als arm, sinnlos oder allgemein nicht lebenswert.

Für die andere Gruppe der Männer (die überwiegend keine "Singles" waren), stellt sich das Nachdenken über eine Vaterschaft jedoch ganz anders dar. Hier zeigen die Ergebnisse, dass Teile der zukünftigen familiären Selbstdefinition bereits durch die Beziehung selbst abgedeckt sind, wie etwa Nähe, Beständigkeit und Zuwendung. Dies mündet jedoch nicht zwangsläufig in einem völligen Ausbleiben eines Kinderwunsches; vielmehr kommt nun der Partnerin der eigentlich motivierende Part zu. Sie rückt mit ihren Wünschen, Überlegungen und Planungen im Hinblick auf eine Familiengründung in den Vordergrund. Männer lassen sich dann im "familiären Fahrwasser" mittreiben, sie berichten distanzierter über sich selbst als möglichen zukünftigen Vater und beginnen sogar, vermehrt negative Folgen einer Familiengründung zu reflektieren.

Es scheint also so zu sein, dass, wenn die Partnerin einen eigenen Kinderwunsch äußert, ein Teil der Männer die mögliche Vaterrolle nicht mehr in dem Maße in ihre eigene Selbstdefinition aufnimmt. Sie "überlassen" dann gewissermaßen der Partnerin die Familienorientierung, die Planung und Gestaltung der Familiengründung. Was das jedoch für Männer und auch gesellschaftlich in Zeiten bedeutet, in denen auch für Frauen der eigene Kinderwunsch durchaus ambivalent sein oder in Konkurrenz mit anderen Lebenszielen stehen kann, bedarf noch weiterer Bearbeitung.

Projekt:
Neue Arrangements von Arbeit und Leben bei jungen Familien (Anneli Rüling, Universität Hamburg; Karsten Kassner, Universität Frankfurt/M.)

Stichprobe: Paare, die sich Erwerbs- und Familienarbeit teilen (alte Bundesländer); überwiegend besser Gebildete.

Bei Paaren mit egalitärem Anspruch zeigen sich erste Ansätze, dass und wie die "verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" im Partnerschafts- und Familienbereich, die bislang noch konstatiert wurde, überwunden werden kann. Bei diesen Paaren wollen Frauen "Beruf und Familie", und die Männer haben ein Interesse an "aktiver Vaterschaft" und lösen dieses unter Inkaufnahme beruflicher Risiken ein.

Die aktive Ausübung der Vaterrolle erfordert gesellschaftliche Unterstützung und von den Individuen bzw. Paaren in hohem Maße Kompetenzen im Zeitmanagement sowie die Fähigkeit zu extremer Flexibilität und Selbststeuerung. Bei den egalitären Paaren, die erst in einer sehr kleinen Anzahl vorhanden sind und nach denen in dieser Studie gezielt gesucht wurde, wurden folgende Muster gefunden:

Ausbalanciertes Arrangement
Beide arbeiten langfristig Teilzeit (also über die gesetzlich geregelte Elternzeit hinaus), um sich um die Kinder zu kümmern. Sie verzichten auf Wohlstand und materielle Sicherheit, was ihr Arrangement prekär werden lassen kann. Häufig sind beide neben Familie und Beruf in anderen gesellschaftlichen Bereichen engagiert, zum Beispiel politisch, und haben einen eigenen Freundeskreis. Die Kinderbetreuung übernehmen die Paare meist selbst oder arbeitsteilig im privaten Netzwerk. Hilfe von den Großeltern spielt kaum eine Rolle.

Erwerbszentriertes Arrangement
Die berufliche Entwicklung beider Partner steht im Mittelpunkt; auch die Frau gibt ihre Karriere nicht auf. Beide sind für die Familie verantwortlich. Kinder werden in einem frühen Alter in private Fremdbetreuung gegeben. Beide versuchen Vollzeit zu arbeiten und haben zum Teil Führungspositionen inne. Ihr Alltag ist strikt organisiert und der Zeitplan sehr eng. Problematisch ist die Kinderbetreuung, für die oft mehrere Betreuungsformen kombiniert werden müssen. Auf Grund ihrer hohen beruflichen Mobilität können diese Paare nicht auf familiale Netzwerke und wenig auf Freunde zurückgreifen.

Bei der Entscheidung für ein Kind war der Kinderwunsch des Mannes stark, und für die Frau war die aktive Ausübung der Vaterrolle Bedingung für den Schritt zur Elternschaft.

Familienzentriertes Arrangement
Für diese Paare ist die Familie der Lebensmittelpunkt; sie sind gegen eine frühe Fremdbetreuung der Kinder. Sie haben enge Beziehungen zu den Eltern, die sich an der Kinderbetreuung beteiligen. Die Initiative zur Aufteilung der Elternzeit kam oft von den Männern, die "auch etwas von ihren Kindern haben wollen" und teilweise mit ihrer beruflichen Situation unzufrieden waren. Viele arbeiten im öffentlichen Dienst mit guten Rahmenbedingungen, die Arbeitszeit zu reduzieren und berufliche Risiken zu minimieren.

Diese Väter möchten das Aufwachsen des Kindes im Alltag miterleben und nicht im Urlaub bzw. an Wochenenden "mit Gewalt irgendwo und jetzt müssen wir mit der Familie was unternehmen" (Zitat eines befragten Mannes) alles nachholen.

Die Realisierung eines strukturell egalitären Arrangements ist in starkem Maße von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig und stellt eine hochkomplexe Leistung dar. Die Möglichkeit flexibler und variabler Arbeitszeitgestaltung und ein finanzierbares und ausreichendes Angebot öffentlicher - bzw. privat organisierter - Kinderbetreuung sind Voraussetzung. Die Paare müssen die Kompetenz haben, derartige Rahmenbedingungen herzustellen und diese im Alltag immer wieder zu einem Ganzen zusammenzubringen.

Bei den egalitären Paaren, nach denen in dieser Studie gezielt gesucht wurde, sind Arbeitsteilung, Vaterschaft und Männlichkeit in "pragmatischer" Veränderung begriffen. Die Männer haben ein ernsthaftes Interesse an aktiver Vaterschaft und machen dafür auch Abstriche von dem Bild des einseitig auf Berufsarbeit fixierten männlichen Lebensentwurfs. Auch in der Haus- und Familienarbeit verlieren sie den Status des "ewigen Praktikanten". Das intensive Verhältnis zu ihren Kindern sehen sie als persönliche Bereicherung. Aushandlungsprozesse und Konflikte um die Arbeitsteilung innerhalb der Paarbeziehung verlaufen zumeist jenseits eines politisch-emanzipatorischen Anspruchs auf einem sehr pragmatischen Niveau und sie durchbrechen bisweilen auch die Muster geschlechtstypischer Zuschreibungen. Statt alter Geschlechterkonflikte (zum Beispiel um Hausarbeit) zeigen sich eine neue Selbstverständlichkeit und eine Normalisierung egalitärer Verhaltensweisen.

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