01. Dezember 2002 | Pressemitteilung

Der Geburtenentwicklung und dem Altern auf der Spur
Arbeitsgebiete des Max-Planck-Institutes für demografische Forschung, Rostock, im Überblick

Demografie studiert die Struktur von Bevölkerungen (Populationen) und analysiert die Veränderungen (Prozesse), denen Bevölkerungsgrößen und -zusammensetzungen kontinuierlich unterworfen sind, sowie die Faktoren, die die Veränderungen bewirken. Fertilität (Fortpflanzungsverhalten), Mortalität (Sterblichkeit) und Migration sind die bedeutsamsten treibenden Kräfte demografischer Prozesse.

Die Rostocker Wissenschaftler sind zur Zeit vor allem Fertilitäts- und Familienentwicklungen auf der einen Seite, sowie Altern und Langlebigkeit auf der anderen Seite auf der Spur. Die aktuelle demografische Situation Deutschlands ist wie in den meisten anderen entwickelten Ländern durch eine historisch niedrige Geburtenhäufigkeit sowie eine stetig zunehmende Lebenserwartung gekennzeichnet. Diese Entwicklungen stellen große Herausforderungen an die Gesellschaften im 21. Jahrhundert .

Die Abteilung Fertilität und Familiendynamik unter der Leitung von Prof. Dr. Jan M. Hoem untersucht die Geburten- und Familiendynamik im heutigen Europa. In allen hochentwickelten Gesellschaften, insbesondere in Europa, sinken die Geburtenraten (sinkende Fertilität) und neue Familienformen, wie nichteheliche Lebensgemeinschaften (Kohabitation), Einelternfamilien oder Stieffamilien, werden häufiger. Trotz dieser allgemeinen Trends gibt es ausgeprägte regionale Unterschiede im Fertilitäts- und Familienverhalten in Europa, zum Beispiel zwischen Ost- und Westdeutschland, Süd- und Norditalien, oder zwischen nord-, zentral-, süd- und osteuropäischen Ländern. Ziel des Arbeitsbereichs ist es, unterschiedliche Ausprägungen und Abläufe (Dynamiken) solcher Entwicklungen sowie die dafür ausschlaggebenden Faktoren interdisziplinär zu untersuchen. Aus demografischer, ökonomischer, soziologischer, politikwissenschaftlicher und geschlechtsspezifischer Perspektive wird dabei er-forscht, wie bedeutsam soziale, ökonomische, kulturelle und wohlfahrtsstaatliche Einflüsse für sich und im Zusammenspiel miteinander sind und wie sich Wertvorstellungen und Wertewandel auf Familien- und Geburtenverhalten auswirken. Zur Anwendung kommen hierbei neuere Methoden der Demografie, die Zusammenhänge und Gründe der Veränderungen präziser erkennen lassen. Die Wissenschaftler/-innen des Instituts haben zum Beispiel untersucht, inwiefern sich das Geburtenverhalten in Ost- und Westdeutschland nach der Wende angeglichen hat. Die Untersuchungen ergaben, dass ostdeutsche Frauen weiterhin etwas jünger bei der Geburt des ersten Kindes sind, jedoch wesentlich seltener ein zweites oder weiteres Kind bekommen. Weiterhin konnte zum Beispiel für die mitteleuropäischen und skandinavischen Länder gezeigt werden, dass familienpolitische Maßnahmen, wie etwa eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, einen Einfluss darauf haben, ob eine Frau oder eine Familie nach der Geburt eines Kindes ein weiteres Kind bekommt.

Untersuchungen der Abteilung Fertilität und Familiendynamik zu Scheidungen und Stieffamilien konnten auch zeigen, dass Ehen in Europa stabiler sind als in den USA, wobei es aber große Unterschiede innerhalb Europas gibt. In Deutschland, Schweden und Österreich werden Ehen häufiger getrennt als in Norwegen, Finnland, Frankreich oder Italien und Spanien als "Niedrig-Scheidungsländern". Rund die Hälfte der Kinder aus getrennten Ehen in Deutschland, Schweden und Norwegen leben sechs Jahre nach der Scheidung ihrer Eltern wieder in einer Zwei-Elternfamilie; in den anderen Ländern sind es deutlich weniger. Die meisten dieser Kinder wachsen mit Stiefgeschwistern auf, denn Paare wollen, so die Forschungsergebnisse, zumindest ein gemeinsames Kind, unabhängig davon, wieviele Kinder jeder der beiden Partner in die neue Lebensgemeinschaft mitbringt.

Die unabhängige Nachwuchsgruppe "Bevölkerung, Wirtschaft und Umwelt" analysiert die Auswirkungen der Veränderungen demographischer Prozesse und Strukturen auf ökonomische und umweltrelevante Variablen. Rückläufige Fertilität und ansteigende Lebenserwartung, wie diese in den meisten Industrieländern zu beobachten sind, implizieren starke Verschiebungen in der Altersstruktur, und diese haben wiederum starke Auswirkungen auf unterschiedliche makroökonomische Variablen. Während die Finanzierbarkeit des Pensions-, Gesundheits- und Pflegesystems meist im Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung steht, geht es der Nachwuchsgruppe darum, darüber hinaus die Auswirkungen auf Arbeits- und Kapitalmärkte zu erforschen. Dabei besteht zum einen das Ziel herauszufinden, ob und unter welchen Bedingungen die Alterung von Bevölkerungen zu einem Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern führen wird. Zum anderen wird einzuschätzen versucht, inwieweit zum Zeitpunkt der Pensionierung der "Baby-Boom-Kohorten" in vielen Ländern die Auflösung privater Vermögen zur Altersversorgung einen negativen Effekt auf Ak-tien- und Wertpapiermärkte auslösen könnte. Ein zweiter Schwerpunkt der Nachwuchsgruppe liegt in der Quantifizierung von Auswirkungen unterschiedlicher Haushaltsformen, die durch sich verändernde Familienformen und demographische Prozesse zu erwarten sind, auf Energienachfragen von Industrieländern.

Die Abteilung Altern und Langlebigkeit unter Leitung von Prof. Dr. James W. Vaupel widmet sich der Erforschung von Faktoren, die Altern, Langlebigkeit und Sterblichkeit bestimmen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung der Mortalität im hohen Alter, da die medizinischen und ökonomischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte Todesfälle weitgehend auf das fortgeschrittene Alter verschoben haben. Vor dem Hintergrund, dass die Lebenserwartung steigt und es immer mehr ältere Menschen gibt, richtet sich das Interesse darauf, welche sozialen und biologischen Faktoren einen Einfluss auf Langlebigkeit haben. Außerdem werden mathematisch-statistische Verfahren für diese Analysen weiterentwickelt.

Alle bisherigen Prognosen zur Mortalitätsentwicklungwaren bisher zu "pessimistisch", denn immer mehr Menschen erreichen ein hohes Alter und der Anteil sehr alter Menschen (100 Jahre und älter) wächst stetig an. Vorliegende Vorausschätzungen haben ergeben, dass im Jahr 2025 in Deutschland 28 Millionen Menschen älter als 60 Jahre sein werden, 1997 waren es gerade 18 Millionen. Diese Vorausschätzungen könnten aber durchaus noch übertroffen werden. Für die Gesellschaft insgesamt, insbesondere aber für die Arbeitsmärkte und die Sozialsysteme, ergeben sich daraus schwerwiegende Konsequenzen. Auch wenn das Rostocker Max-Planck-Institut als Grundlagenforschungsinstitut keine direkte Politikberatung betreiben wird, plant das Institut derzeit in Zusammenarbeit mit der Universität Rostock einen Forschungsschwerpunkt "Herausforderungen durch neuere demografische Entwicklungen" einzurichten.

Neben dem Versuch, zukünftige Entwicklungen der Mortalität abzuschätzen, richtet sich der Blick auch in die Vergangenheit. Dabei geht es zum einen darum, genaueren Aufschluß über die Lebenserwartung von Männern und Frauen früherer Gesellschaften und Kulturen zu erhalten, zum anderen darum einzukreisen, in welchem Ausmaß bereits früher Menschen sehr alt wurden und welche Faktoren dafür ausschlaggebend gewesen sein könnten. Um einen Einblick in die Lebenserwartung unserer Vorfahren zu bekommen, müssen sich Untersuchungen hauptsächlich auf archäologische Funde stützen. Ein wesentliches Problem ist dabei eine möglichst genaue Altersbestimmung anhand von Skelettfunden. Hierbei kommt ein Verfahren zur Anwendung, welches noch Jahrhunderte nach dem Tod eines Menschen ermöglicht, an den Zähnen das Alter mit einer Genauigkeit von zweieinhalb bis drei Jahren zu bestimmen. Ähnlich wie bei Bäumen bilden sich im Zahnzement Jahresringe. Mit einer Präzisionssäge wird ein Mikrometer dünner Querschnitt der Zahnwurzel freigelegt und anschließend unter dem Mikroskop untersucht. Damit können die Forscher das Alter bestimmen. Außerdem wird vermutet, dass auch die Qualität der Ablagerungen im Zahnzement Aufschluss darüber geben kann, welchen Stresssituationen und -perioden (z.B. Hunger, Krankheiten, Geburten bei Frauen) die Menschen ausgesetzt waren. Zur Zeit werden mehr als 1.000 Zähne aus einem frühmittelalterlichen Friedhof im baden-württembergischen Lauchheim untersucht.

Neben menschlichem Altern und Sterblichkeit interessiert schließlich auch, wie diese Phänomene bei anderen Spezies ablaufen. Aus diesen Studien werden Einsichten erwartet, wie die Evolution im Laufe der Jahrtausende Fortpflanzungs- und Alterungsverlauf geformt hat. Das Institut experimentiert in einem eigenen Labor mit Hefezellen. Hefekulturen sind hervorragend geeignet, da das Genom dieser Kleinlebewesen bekannt ist. Hefezellen sind auch deshalb für die Forschung gut geeignet, da man zum Beispiel eine Population dieser Zellen von der Größe der Weltbevölkerung auf allerkleinstem Raum halten kann. Zum Vergleich werden dabei auch "Mortalitätsenwicklungen" unbelebter Objekte untersucht: In mehreren Versuchen wurde beispielsweise die Lebensdauer (Langlebigkeit) von mehr als 10.000 kleinen Glühbirnen gemessen. Die Glühbirnen wurden hierbei auch diversen "Stressfaktoren" (z.B. ständiges Ein- und Ausschalten) ausgesetzt. Dabei gewonnene Einsichten werden modellhaft mit menschlichen Mortalitätsentwicklungen und -verläufen verglichen.

Kontakt

Leiterin des Arbeitsbereichs Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen

Silvia Leek

E-Mail

+49 381 2081-143

Redakteurin Wissenschaftskommunikation

Silke Schulz

E-Mail

+49 381 2081-153

Was nun?

Zur Startseite

Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock ist eines der international führenden Zentren für Bevölkerungswissenschaft. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.