17. Januar 2023 | Pressemitteilung

Gefühlte Gerechtigkeit

Beziehungen werden weniger nach der tatsächlichen als der empfundenen Gerechtigkeit bei der Arbeitsteilung beurteilt. © iStockphoto.com/ljubaphoto

Nach der Geburt eines Kindes ändert sich die Welt eines Paares grundlegend. Ob die Partner*innen danach ebenso zufrieden mit ihrer Beziehung sind wie in der kinderlosen Phase, hängt auch davon ab, als wie gerecht sie die Arbeitsteilung empfinden. Bewerten Frauen die Arbeitslast als gleichbleibend unfair, sinkt ihre Zufriedenheit mit ihrer Beziehung nach der Geburt eines Kindes deutlich. Für Männer gilt das nicht.

Oft braucht es nur einen kleinen Anlass für einen großen Streit: Der sich türmende Wäschestapel, das nicht weggeräumte Frühstücksbrett oder die Überstunden im Job. Wenn es um die Aufteilung von Arbeit geht, von bezahlter Erwerbs- wie von unbezahlter Care- und Hausarbeit, kommt es früher oder später bei fast allen Paaren zum Streit. Wie stark diese Auseinandersetzungen die Beziehungen zwischen heterosexuellen Paaren belasten, hängt weniger davon ab, wie viele Stunden Männer und Frauen arbeiten, als davon, wie gerecht sie ihren Anteil an der Aufgabenteilung empfinden, zeigen Nicole Hiekel vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung sowie Katya Ivanova von der Tilburg Universität in den Niederlanden und präsentieren einige auf den ersten Blick sehr überraschende Ergebnisse.

Wenig erstaunlich und weitgehend bekannt ist, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Zufriedenheit mit der Partnerschaft nach der Geburt eines Kindes im Schnitt etwas sinkt. Den Daten des Familienpanels pairfam konnten die beiden Wissenschaftlerinnen entnehmen, dass kinderlose Männer ihre Beziehung auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht zufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) mit einer mittleren Punktzahl von 8,34, kinderlose Frauen mit einer mittleren Punktzahl von 8,48 bewerten. Wird ein Kind geboren, sinkt die Zufriedenheit bei Männern im Schnitt um 0,26 Punkte und bei den Frauen um 0,35 Punkte. Diese Durchschnittswerte erscheinen zunächst klein, aber die Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen der Befragten sind beträchtlich, wie die Autorinnen zeigen – sowohl bei der wahrgenommenen Gerechtigkeit der Arbeitsteilung als auch bei der Beziehungszufriedenheit nach der Geburt eines Kindes.

So war ein Fünftel der Befragten nach der Geburt eines Kindes mit der Paarbeziehung sogar noch zufriedener als zuvor, bei einem Drittel blieb die Zufriedenheit unverändert und rund die Hälfte der Befragten berichteten, dass sie weniger zufrieden mit der Beziehung sind. Vor diesem Hintergrund sind die Autorinnen der Studie zwei wesentlichen Fragen nachgegangen. Zunächst haben sie analysiert, inwieweit die Zufriedenheit mit einer Beziehung auch damit zusammenhängt, ob die Arbeitsteilung nach der Geburt eines Kindes als gerechter oder als ungerechter empfunden wird.  In einem zweiten Schritt untersuchten sie, inwieweit das Geschlechterbild der Befragten diese Wahrnehmung und Beurteilung beeinflusst.

Vor der Geburt eines Kindes empfinden die meisten Paare die Arbeitsteilung noch als fair. Quelle: pairfam 11.0, eigene Berechnungen © MPIDR

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Insgesamt ist der Anteil derjenigen, die die Arbeitsteilung in der Partnerschaft als fair empfinden, relativ groß – vor allem vor der Geburt eines Kindes und vor allem bei den Männern: Drei von vier sagen, dass die Belastungen fair verteilt sind. Bei den Frauen sind es mit 62 Prozent deutlich weniger. Nach der Geburt eines Kindes empfinden das immerhin noch 60 Prozent der Männer und knapp die Hälfte der Frauen so.

Wie stark sich die Zufriedenheit verändert, hängt dabei kaum von der tatsächlichen Arbeitsbelastung ab. Wird etwa die Arbeitsverteilung nach der Geburt eines Kindes gleicher verteilt als vorher, sind Frauen mit ihrer Beziehung gar nicht zufriedener als in einer Partnerschaft, in der die Arbeit nach der Geburt des Kindes ungleicher verteilt ist. Gleiches gilt für die Männer

Veränderungen in der tatsächlichen Arbeitsteilung hat auf Veränderungen in der Beziehungszufriedenheit kaum Einfluss. Die wahrgenommene Fairness schon. Quelle: pairfam 11.0, eigene Berechnungen © MPIDR

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Ganz anders sieht das bei der empfundenen Gerechtigkeit aus – zumindest bei den Frauen: Bei jenen, die die Arbeitsteilung vor und nach der Geburt als gleichbleibend gerecht empfinden, verändert sich die Zufriedenheit kaum. Bei Frauen hingegen, die ihre Arbeitslast als gleichbleibend ungerecht empfinden, nimmt die Zufriedenheit nach der Geburt eines Kindes fast um einen ganzen Punkt ab, also rund dreimal so stark wie im Durchschnitt. Bei Männern dagegen lässt sich keine Veränderung feststellen. Das könnte daran liegen, dass bei einer als ungerecht empfundenen Aufteilung der Arbeit sowohl befragte Männer als auch befragte Frauen übereinstimmend angaben, dass die Frau die Benachteiligte ist.

Erstaunlicherweise sind Frauen, bei denen die empfundene Gerechtigkeit der Arbeitsteilung nach Familiengründung zunimmt, nicht zufriedener mit ihrer Beziehung. Eher ist sogar das Gegenteil der Fall, wobei die Unterschiede hier nicht statistisch signifikant sind. Nimmt die gefühlte Gerechtigkeit ab, lässt sich ebenfalls keine signifikante Veränderung verzeichnen.

Um diesen auf den ersten Blick überraschenden Ergebnissen genauer nachzugehen, haben die beiden Demografinnen auch Daten zu den Geschlechterbildern zurate gezogen. Die pairfam-Studie erfasst hierzu Antworten der Befragten zu Fragen wie „Männer sollten sich an der Hausarbeit im gleichen Umfang beteiligen wie Frauen“. Wurde dieser Aussage zugestimmt, werteten die Forscherinnen das als egalitäres Geschlechterbild. In der weiteren Analyse fanden sie so heraus, dass Veränderungen in der Beziehungszufriedenheit von Männern im Zusammenhang mit Veränderungen der wahrgenommenen Gerechtigkeit stark davon abhingen, wie ihr Geschlechterbild ist.

Wahrgenommene Fairness der Arbeitsteilung ist besonders vorteilhaft für die Beziehungszufriedenheit von Frauen und Männern mit egalitärem Geschlechterbild. Diejenigen, die die Arbeitsteilung in ihrer Partnerschaft als (zunehmend) fair empfinden und ein egalitäres Geschlechterbild haben, zeigen keinen Rückgang in der Beziehungszufriedenheit nach der Geburt eines Kindes. Quelle: pairfam 11.0, eigene Berechnungen © MPIDR

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Bei Männern mit einem egalitären Geschlechterbild, die die Arbeitsteilung als gleichbleibend fair empfanden, veränderte sich die Beziehungszufriedenheit kaum. Bei Männern hingegen, die eine traditionelle Auffassung von Geschlechterrollen haben, ging eine gerechte Wahrnehmung der Arbeitsteilung mit einer deutlich gesunkenen Beziehungszufriedenheit einher. Sie sank für diese Gruppe rund viermal so stark wie im Durchschnitt.

Noch extremer sind die Unterschiede bei den Frauen: Wurde die Arbeitsteilung nach der Geburt eines Kindes als fairer empfunden, dann veränderte sich die Zufriedenheit bei den Frauen mit egalitärem Geschlechterbild kaum. Bei den traditionell eingestellten Frauen hingegen sank die Zufriedenheit um ganze 1,76 Punkte.

Die Autorinnen vermuten, dass das wahrgenommene stabile faire Arrangement in stärkerem Kontrast sowohl zu den Erwartungen traditionell eingestellter Männer an die Elternschaft als auch zu den in der Gesellschaft vorherrschenden Geschlechterbildern steht. Ebenso steht eine geringere Benachteiligung der Mutter im Widerspruch zu den Erwartungen traditionell eingestellter Frauen. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Diskrepanz zwischen der Vorstellung und der gelebten Realität Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Paaren haben kann, und zwar weit über die faktische Arbeitsteilung hinaus.

Originalpublikation

Hiekel, N., Ivanova, K.: Changes in Perceived Fairness of Division of Household Labor Across Parenthood Transitions: Whose Relationship Satisfaction Is Impacted? Journal of Family Issues (2022). DOI: 10.1177/0192513X211055119

Autor*innen und Institutionen

Nicole Hiekel, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

Katja Ivanova, Universität Tilburg

Kontakt

Leiterin des Arbeitsbereichs Öffentlichkeitsarbeit und Publikationen

Silvia Leek

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Redakteurin Wissenschaftskommunikation

Silke Schulz

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MPIDR-Autorin der Studie

Leiterin einer Forschungsgruppe

Nicole Hiekel

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Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock ist eines der international führenden Zentren für Bevölkerungswissenschaft. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.