23. November 2020 | Pressemitteilung

Interview zur Sonderpublikation über Sterblichkeit durch Alkoholmissbrauch in Osteuropa

Osteuropa ist die Weltregion mit der höchsten Sterblichkeit durch Alkoholmissbrauch. © iStockphoto.com/pashabo

Domantas Jasilionis hat zusammen mit David A. Leon und Robin Room eine Sonderausgabe von Drug & Alcohol Review über die Auswirkungen von Alkoholmissbrauch auf die Sterblichkeit in Osteuropa herausgegeben. In diesem Interview gab uns der Forscher einen Einblick in diese Sammlung von wissenschaftlichen Studien und erklärt, warum Forschung zu diesem Thema auch in Zukunft notwendig ist.

Dr. Jasilionis, warum ist diese Sonderausgabe von Drug & Alcohol Review so wichtig?

Domantas Jasilionis: Zum allerersten Mal kann diese Paper-Sammlung einen breiten Überblick über das Problem der alkoholbedingten Mortalität in vielen osteuropäischen Ländern geben. Die Beiträge stehen im Zusammenhang mit den jüngsten Initiativen den Alkoholkonsum zu kontrollieren. Trotz einiger Fortschritte darin, die enormen Auswirkungen von Alkoholmissbrauch auf die Sterblichkeit zu reduzieren, ist Osteuropa nach wie vor die am stärksten betroffene Region der Welt. Die neuesten Erkenntnisse, die wir in dieser Sammlung zusammengestellt haben, unterstreichen, wie wichtig weitere politische Initiativen im Bereich der Alkoholkontrolle sind.

Welche Gründe gibt es für den überhöhten Alkoholkonsum in osteuropäischen Ländern?

DJ: Wir konnten drei Hauptgründe ausmachen. Der erste ist, dass viele Menschen in osteuropäischen Ländern Alkohol auf besonders schädliche Weise konsumieren; in sehr großen Mengen in kurzer Zeit - auch bekannt als Binge Drinking. Diese Form des Alkoholkonsums steht in engem Zusammenhang mit verschiedenen gefährlichen Situationen und Krankheiten, wie Gewaltausbrüchen, Vergiftungen, Leberkrankheiten, bestimmten psychischen Erkrankungen und Herzinfarkt.

Und die beiden anderen Gründe?

DJ: Die anhaltend schlechte Lage hängt auch mit sehr vielen alkoholbedingten Problemen in bestimmten benachteiligten Gruppen zusammen. So konsumieren etwa Menschen mit niedrigerem Bildungsstand, Arbeitslose, gering qualifizierte Arbeiter und nicht verheiratete Männer besonders viel Alkohol. Auch psychologische und soziale Faktoren spielen eine Rolle, die zumindest teilweise auf schlechte gesellschaftliche Bedingungen wie hohe Arbeitslosigkeit und sehr große Einkommensunterschiede zurückzuführen sind. Außerdem hatten viele Länder bis Mitte/Ende der 2000er Jahre eine sehr liberale Politik bei der Alkoholkontrolle. Da Alkohol in vielen Ländern leicht zugänglich und erschwinglich war, wurde auch viel getrunken.

Welche Länder sind am stärksten betroffen?

DJ: Die ehemaligen Sowjetländer Russland, Belarus, Ukraine und die drei baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland. Trotz ähnlich hohem Konsum ist die alkoholbedingte Sterblichkeit in einigen mitteleuropäischen Ländern wie Polen und der Tschechien viel niedriger.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Forschung zu diesem Thema, was die Methoden und die Datenlage betrifft?

DJ: Der durchschnittliche Alkoholkonsum an sich spiegelt das tatsächliche Ausmaß der Alkoholbelastung nicht vollständig wider. Wenn etwa zwei Länder ein ähnliches Konsumniveau haben, können die Unterschiede in den alkoholbedingten Sterblichkeitsraten beträchtlich sein. Eine weitere Herausforderung ist es, alkoholbedingte Todesursachen in den Totenscheinen zu identifizieren und den Konsum von nicht versteuertem Alkohol zu erfassen.

Hat sich in den vergangenen Jahren die Sterblichkeit durch Alkoholmissbrauch verändert?

DJ: Unsere Studien-Sammlung zeigt länderspezifische Fortschritte, die vor allem in der zweiten Hälfte der 2000er und in den 2010er-Jahren gemacht wurden. Zeitpunkt und Ausmaß der Verbesserungen sind in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Trotz des allgemein positiven Trends, wurde Osteuropa wieder als die Weltregion mit höchsten alkoholbedingten Gesundheitsschäden und Sterblichkeitsraten benannt.

Wie sollte in Zukunft weiter an dem Thema geforscht werden?

DJ: Wir müssen Veränderungen bei alkoholbedingten Gesundheitsschäden und bei der Umsetzung der Politik genau und zeitnah beobachten. So können wir feststellen, ob die Maßnahmen zur Alkoholkontrolle wirksam sind. Wir brauchen auch bessere Daten und Methoden zur Bewertung der verschiedenen Dimensionen alkoholbedingter Schäden. Vor allem muss den Gesundheitsauswirkungen des Rauschtrinkens noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Über Domantas Jasilionis

© MPIDR

Domantas Jasilionis ist Forscher im Arbeitsbereich Demografische Daten am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock und Teilzeit-Professor an der Vytautas-Magnus-Universität in Kaunas, Litauen. Domantas Jasilionis ist Demograf mit starkem Forschungsinteresse an Mortalität, Gesundheit der Bevölkerung, gesundheitlichen Ungleichheiten, internationaler Migration und register- und zensusbasierten demografischen Daten.

Er ist Mitglied des Projektteams der Human Mortality Database, einem internationalen Kernprojekt des Arbeitsbereichs Demografische Daten, das zusammen mit der University of California in Berkeley, USA, durchgeführt wird. Domantas Jasilionis war PI und Co-PI mehrerer Forschungsprojekte.

Mehr Informationen zum Thema

Die Sonderausgabe von Drug & Alcohol Review mit dem Titel Impact of alcohol on mortality in Eastern Europe: Trends and policy responses wurde gemeinsam von Domantas Jasilionis, David A. Leon (London School of Hygiene and Tropical Medicine) und Robin Room (Centre for Alcohol Policy Research an der La Trobe University, Australien) herausgegeben.

Das Editorial ist hier zu finden: Jasilionis, D., Leon, D.A. and Pechholdová, M. (2020). Editorial: Impact of alcohol on mortality in Eastern Europe: Trends and policy responses. Drug & Alcohol Review, 39: 785-789. doi.org/10.1111/dar.13167

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