13. Juli 2021 | Pressemitteilung

Je höher entwickelt ein Land, desto schwächer der empfängnisverhütende Effekt des Stillens

Für Demografie-Forschende weltweit ist dies eine wichtige Erkenntnis, da eine lange Stillzeit die Fertilität sehr stark senken kann. © iStockphoto.com/Asia-Pacific Images Studio

Welche Faktoren bestimmen, wann der Zyklus bei Frauen, die stillen nach der Entbindung wiedereinsetzt? Um diese Frage für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen möglichst allgemeingültig zu beantworten, werteten ehemalige MPIDR-Forscher Umfragedaten aus 84 Ländern aus. Sie fanden heraus, dass die empfängnisverhütende Wirkung des Stillens dort in den vergangenen 40 Jahren - vermutlich wegen des gestiegenen Lebensstandards - stark gesunken ist.

Stillen ist eine traditionelle Verhütungsmethode: Nach einer Geburt setzt bei Frauen, die stillen der Zyklus erst verzögert wieder ein. Bei den meisten stillenden Müttern in Ländern mit hohem Einkommen dauert diese Phase aktuell nur wenige Wochen oder Monate.

In den vergangenen 40 Jahren hat sich die Zeitspanne ohne Eisprung und Monatsblutung aber auch bei Frauen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen vekürzt. „Die Zeiträume in denen stillende Mütter nach eigenen Angaben in den Umfragen nicht menstruierten, waren unterwartet kurz; und das lag nicht daran, dass sie weniger lange gestillt haben“, sagt Nicolas Todd, bis vor kurzem Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock.

Für Demografie-Forschende weltweit ist das eine wichtige Erkenntnis, da lange Phasen des Stillens und ohne Zyklus die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau deutlich senken können. „Wir brauchen keine komplexen Modelle, um zu erkennen, dass die Gesamtzahl der Kinder, die eine Frau in ihrem Leben haben kann, deutlich sinkt, wenn auf jede Geburt 18 Monate ohne Zyklus folgen“, sagt Nicolas Todd.

Er und sein ehemaliger MPIDR-Kollege Mathias Lerch analysierten 2,7 Millionen Geburten in 84 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zwischen 1975 und 2019, indem sie Umfragedaten aus 17 World Fertility Surveys (WFS) und 284 Demographic Health Surveys (DHS) auswerteten. Ihre Studie wurde jetzt im wissenschaftlichen Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) veröffentlicht.

Kürzere Phasen ohne Zyklus korrelieren mit verbessertem Lebensstandard

Was sind also die Gründe dafür, dass auch bei stillenden Müttern in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen der Zyklus nach einer Geburt früher wieder einsetzt? Die Forscher fanden heraus, dass der Lebensstandard, der sich in den vergangenen Jahrzehnten auch in diesen Ländern verbessert hat, wohl eine große Rolle spielt. Merkmale wie ein hoher Wert im Human Development Index oder besserer Zugang zu Strom und Wasser senken den empfängnisverhütenden Effekt des Stillens.

Eine wahrscheinliche Erklärung ist, dass der hohe Energiebedarf der Frau während der Stillzeit eine wichtige Rolle spielt: Wenn der Energiebedarf durch eine verbesserte Ernährungslage oder weniger körperliche Arbeit leichter gedeckt wird, setzt der Eisprung früher wieder ein.

Wissenschaftlicher Streit beigelegt

Diese Ergebnisse widersprechen früheren demografischen Studien, die nur einen begrenzten Umwelteinfluss auf die empfängnisverhütende Wirkung des Stillens nachgewiesen haben.

Im Gegensatz dazu, passen diese Ergebnisse zu einer Reihe von Feldstudien aus der Reproduktionsökologie. In diesen Studien wurde die Hormonlage von kleinen Gruppen von Frauen gemessen, die zeigten, dass der Zyklus der Frau tatsächlich von Umwelteinflüssen abhängt. „Wir glauben, dass wir den langjährigen wissenschaftlichen Streit zwischen Demografie und Reproduktionsökologie darüber, ob die Stilldauer allein die reproduktive Pause nach einer Geburt erklärt, mit unserer Studie beilegen“, sagt Nicolas Todd.

Originalpublikation

Todd, N., Lerch, M.: Socioeconomic development predicts a weaker contraceptive effect of breastfeeding. PNAS (2021). DOI: 10.1073/pnas.2025348118

Autor*innen und Institutionen

Nicolas Todd, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

Mathias Lerch, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

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