10. Dezember 2020 | Pressemitteilung

Neue Monografie: Forschen über Grenzen des Alterns

Die Forscher Bernard Jeune und Michel Poulain überprüfen im Gespräch mit Emma Morano die Angaben zu ihrem Lebenslauf und validieren ihr Alter. Sie wurde 117 Jahre und 137 Tage alt. © CC BY 4.0

Mehr als 20 Jahre Forschung über die ältesten Menschen sind in der neu erschienenen und online kostenlos verfügbaren Monografie „Exceptional Lifespans“ zusammengefasst. In diesem Interview sprechen die drei Herausgeber, James Vaupel, Bernard Jeune und Heiner Maier, darüber, wie Langlebigkeit nachgewiesen wird, wo die Grenzen des Alterns sind und welche Hürden es bei der Datenerhebung über Menschen gibt, die älter als 110 Jahre geworden sind.

Wie alt können wir werden oder anders gefragt: gibt es eine Altersgrenze, die wir Menschen nicht überschreiten können?

James Vaupel: Im Moment sehen wir so eine Grenze nicht. Es ist wahrscheinlich, dass die maximale Lebensdauer über die Zeit länger wird. Deshalb ist es möglich, dass es eine Altersgrenze bei einem uns noch nicht bekannten Alter gibt. Und es ist auch möglich, dass die Forschung Durchbrüche erreicht und so die maximale Lebensdauer deutlich verlängert wird.

Bernard Jeune: Da stimme ich Jim zu. Jeder von uns kann immer noch einen Tag länger leben…

 

Jeanne Louise Calment ist im Alter von 122,45 Jahren gestorben. Damit hält die Französin seit 1997 den Rekord als ältestes Menschen. Glauben Sie, dass ihr Rekord bald gebrochen wird?

James Vaupel: Wir schätzen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass jemand vor 2045 älter wird, als Calment geworden ist, weniger als 50 Prozent beträgt. Obwohl Calments Rekord außergewöhnlich ist, ist es durchaus möglich, ihn zu übertreffen.

Bernard Jeune: Auch in der Vergangenheit finden wir Hinweise darauf, wie lange es dauert, so einen Rekord zu brechen. Es vergingen mehr als 50 Jahre zwischen 1928 und 1985, bis Delina Filkins Höchstalter von 113 Jahren von Augusta Holtz mit 114 Jahren übertroffen wurde. Es könnte sein, dass Fannie Thomas bereits 1981 das Höchstalter 113 um 68 Tage übertraf. Aber leider wurde ihr Alter nie so gründlich geprüft, wie das bei Delina Filkins und Augusta Holtz der Fall war.

 

In der neuen Monografie, die Sie drei gemeinsam herausgegeben haben, präsentieren Sie statistische Daten zum Sterberisiko von Menschen, die älter als 110 Jahre alt sind. Ist dieses Sterberisiko besonders?

Heiner Maier: Ja, das ist es. Es ist hoch, aber steigt nicht weiter, wie sonst über fast unser ganzes Leben hinweg. Jutta Gampe, meine Kollegin am Max-Planck-Institut für demografische Forschung, geht davon aus, dass die Sterblichkeit bei uns Menschen nach dem 110. Lebensjahr unverändert bei einer Sterbewahrscheinlichkeit von 50 Prozent pro Jahr liegt. Das bedeutet, dass jedes Jahr die Hälfte aller Menschen, die älter als 110 Jahre sind, sterben. Die andere Hälfte lebt weiter mit einer 50/50 Chance, das nächste Jahr zu überleben. Und so weiter.

 

Seit mehr als 20 Jahren erforschen Sie und ein internationales Netzwerk aus Demografinnen und Demografen die ältesten Alten und die Grenzen der Langlebigkeit. Wie fasst das neue Buch den Stand der Forschung zusammen?

James Vaupel: Aus meiner Sicht bietet die Monografie die ausgereifteste, umfassendste und aktuellste Zusammenfassung der Forschung über sehr alte Menschen und ihre Sterblichkeit.

Heiner Maier: Unsere neue Monografie dokumentiert, wie die Grenze des menschlichen Höchstalters immer weiter nach hinten verschoben wird. Das geschieht auf Grundlage sorgfältig geprüfter Daten von mehr als 1.200 Menschen, die 110 Jahre und älter geworden sind. Darüber hinaus enthält das Buch detaillierte Berichte über Menschen, die besonders alt wurden, und darüber, wie deren außergewöhnliche Langlebigkeit dokumentiert wurde. Zudem enthält die Monografie Forschungsergebnisse über die Todesursachen der ältesten Alten.

 

Zuverlässige Daten sind für die demografische Forschung über Langlebigkeit absolut grundlegend. Welche Hürden gibt es, Daten über Menschen zu erheben, die 100 Jahre und älter sind?

James Vaupel: In den meisten Ländern sind Menschen, die angeben, 100 Jahre oder älter zu sein, in Wirklichkeit jünger. Das gilt heute und noch mehr in der Vergangenheit, denn viele übertreiben oder ihr Alter wurde falsch erfasst. Um zu überprüfen, ob jemand tatsächlich mindestens 100 Jahre alt ist, ist eine Geburtsurkunde oder ein anderes Dokument aus jungen Jahren nötig. Anschließend müssen Forschende durch akribische Spurensuche nachweisen, dass es sich tatsächlich um eine langlebige Person handelt.

 

Viele dieser Daten werden in einer Datenbank, der International Database on Longevity (IDL), gesammelt. Was macht diese Datenbank aus?

Heiner Maier: Die IDL liefert qualitativ hochwertige, altersvalidierte Daten für mehr als 18.000 Menschen, die zwischen 105 und 109 Jahre alt geworden sind, und mehr als 1.200 Personen, die über 110 Jahre alt geworden sind. Es ist die einzige Datenbank weltweit, die solche Daten unverfälscht liefert, da das genaue Alter einer Person, die älter als 110 Jahre ist, keinen Einfluss darauf hat, ob sie in die Datenbank aufgenommen wird.

Bernard Jeune: In mehreren Fällen weisen die Daten in der IDL ein deutlich höheres Validierungsniveau auf, als die „Liste der ältesten Menschen“ auf Wikipedia. Die Angaben dort beruhen nur auf wenigen Kriterien wie Geburts- oder Taufurkunde, mindestens einem Dokument aus der Lebensmitte und der Sterbeurkunde.

 

Die Monografie stellt nicht nur Studien zur Langlebigkeit in verschiedenen Ländern zusammen. Sie sammelt auch die Lebensgeschichten einzelner Personen, die sehr alt geworden sind. Wie tragen diese Einzelfallberichte zur Forschung bei?

Bernard Jeune: Die Lebensgeschichten dieser außergewöhnlich langlebigen Personen lassen sich mit den Lebensgeschichten berühmter historischer Persönlichkeiten verbinden. Einige über Hundertjährige wurden in einem Jahrhundert geboren, lebten den größten Teil ihres Lebens im nächsten und starben im folgenden Jahrhundert. Ihre Lebensgeschichten interessiert nicht nur Demografen, sondern auch Historikerinnen.

 

Planen Sie eine weitere Monografie zum Thema?

James Vaupel: Wir planen eine weitere Konferenz. Je nach dem Ergebnis könnte eine Folgekonferenz organisiert werden. Das könnte dann zu einer weiteren Monografie führen. Das Interesse an der Langlebigkeit und an den Menschen, die die Grenze der Langlebigkeit verschieben, nimmt zu. Deshalb wird das Forschungsfeld ganz unabhängig von einer weiteren Monografie florieren.

Über die Herausgeber

James Vaupel ist AXA-Professor für Langlebigkeitsforschung und arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Bevölkerungsdynamik an der Universität von Süddänemark. Unter seiner Leitung wurde 1996 das Max-Planck-Institut für demografische Forschung gegründet, dessen Direktor er bis Ende 2017 war. Von 2013 bis 2017 war er Direktor des Max Planck Odense Center on the Biodemography of Aging. Außerdem ist er Forschungsprofessor am Institut für Bevölkerungsforschung der Duke University. Für seine Forschungen zur Langlebigkeit erhielt er den Longevity Prize der Ipsen Stiftung sowie die Seneca-Medaille und wurde mit der Ehrendoktorwürde der Universität Newcastle und der Universität Lund ausgezeichnet. Mehr

Bernard Jeune ist ein emeritierter leitender Forscher im Bereich Epidemiologie am Institut für Gesundheit der Bevölkerung an der Universität von Süddänemark. Er schloss 1971 sein Medizinstudium an der Universität Aarhus ab und ist seit den 1970er-Jahren an verschiedenen Krankenhäusern in Dänemark tätig. Er war Leiter des Instituts für Bevölkerungsgesundheit, Leiter des Forschungszentrums für Alterung und Leiter des Graduiertenprogramms für Bevölkerungsgesundheit an der Universität von Süddänemark. Seine Forschungsarbeit beschäftigte sich mit der Epidemiologie chronischer Krankheiten und Behinderungen, mit Schwerpunkt auf den Ältesten. Er war einer der Hauptforscher des Five Country Oldest Old Project (5-COOP). Mehr

Heiner Maier ist Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock. Er studierte Psychologie an der Freien Universität Berlin und Human Development and Family Studies an der Pennsylvania State University, wo er 1995 promoviert wurde. 1998 begann er am MPIDR zu arbeiten. Sein Forschungsinteresse an den Höchstaltrigen wurde durch einen Workshop ausgelöst, der im Jahr 2000 am MPIDR stattfand. Im Anschluss daran schloss er sich der von James Vaupel geleiteten, internationalen Forschungsgruppe an, organisierte die Datenerhebung über Hundertjährige in Deutschland, wirkte an der Entwicklung der International Database on Longevity (IDL) mit und koordinierte die Veröffentlichung der ersten Monografie aus dem Jahr 2010. Mehr

Originalpublikation (open access)

Maier, H., Jeune, B., Vaupel, J. W.: Exceptional Lifespans (2021). ISBN 978-3-030-49970-9. DOI: 10.1007/978-3-030-49970-9

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Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock ist eines der international führenden Zentren für Bevölkerungswissenschaft. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.