07. Januar 2013 | News | Neue Veröffentlichung

Frankreich wächst, Deutschland schrumpft

In Zukunft werden in Deutschland vermutlich weniger Menschen leben als im westlichen Nachbarland © shiningchris / photocase.com

Die gegenwärtigen Verhältnisse scheinen relativ klar: Heute leben in Deutschland knapp 20 Millionen Menschen mehr als in Frankreich. Doch während die Bevölkerung in der Bundesrepublik in den kommenden Jahren weiter schrumpfen wird, nimmt die Zahl der Franzosen beständig zu. Im Jahr 2055, so prognostizieren es die Vereinten Nationen, wird Frankreich sein Nachbarland zahlenmäßig überholen.

(Der folgende Text ist erschienen in der Ausgabe 04/2012 der vierteljährlichen Reihe Demografische Forschung aus Erster Hand.)

Und das wäre nur ein weiterer Wendepunkt in der wechselvollen Bevölkerungsgeschichte Frankreichs und Deutschlands, schreibt Gilles Pison vom französischen Institut für demografische Forschung (INED). Denn vor 200 Jahren hatte es bereits eine ganz ähnliche Situation gegeben, wie die Berechnungen des INED in Kooperation mit dem Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung zeigen. Damals aber waren die Verhältnisse umgekehrt: Während in Frankreich um 1800 rund 30 Millionen Menschen lebten, schätzt Sebastian Klüsener vom Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung die Bevölkerung, die auf dem heutigen Territorium Deutschlands lebte, gerade einmal auf die Hälfte, also ungefähr 15 Millionen Menschen (s. Abb. 1).

Solche Schätzungen für die Zeit von 1800 bis 1945 sind sehr aufwändig und mit einiger Unsicherheit behaftet, weil Deutschland zeitweise aus unzähligen Kleinstaaten bestand und sich seine Grenzen häufig veränderten. Doch mit Hilfe von historischen Volkszählungen auf Kreisebene und Geodaten zu historischen Verwaltungsgrenzen in Deutschland konnte Sebastian Klüsener zumindest ungefähre Werte ermitteln. Und deren Tendenz für diese Zeit ist eindeutig: Damals waren es die Deutschen, die aufholten. Während hier die Frauen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts im Schnitt fünf bis sechs Kinder zur Welt brachten, wurde die Zahl der Nachkommen in Frankreich immer stärker von den Eltern gesteuert. Die Ideen der Aufklärung und die abnehmende Bedeutung religiöser Vorschriften, so schreibt Pison, könnten ein wichtiger Auslöser für diese verstärkte Geburtenkontrolle gewesen sein. Die Geburtenrate in Frankreich fiel daraufhin von 5,4 Kindern pro Frau in den 1750er Jahren über 4,4 Kinder pro Frau um 1800 auf nur noch 3,4 Kinder pro Frau Mitte des 19. Jahrhunderts (s. Abb.2).

Die Deutschen, so schreibt Gilles Pison nicht ohne Ironie, schauten damals kritisch auf das vergreisende Nachbarland, dem es so sehr an Kindern mangelte. Und auch die Franzosen schrieben ihre schmerzhafte Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 nicht nur der Überlegenheit des preußischen Bildungssystems, sondern auch der demografischen Stagnation des eigenen Landes zu. Und die hielt noch eine ganze Weile an: Ab 1900 ergaben Geburten- und Sterberaten des Landes nur ein winziges Plus, das durch die Verluste des ersten Weltkrieges gleich wieder zunichte gemacht wurde. Dass die Bevölkerung von 1900 und 1945 überhaupt noch um eine Million Menschen zunahm, hatten die Franzosen allein den Immigranten zu verdanken. Deutschland, das noch zu Beginn des Jahrhunderts mit Frankreich gleichauf lag, war 1945 mit 60 Millionen Bürgern um die Hälfte größer als das Nachbarland.

Doch mit Beginn des Babybooms in den 50er Jahren, der in Frankreich früher und stärker einsetzte, kam es erneut zu einer Wende. Die Bevölkerung wuchs hier zwischen 1950 und 1960 um ein Prozent jährlich, während das Wachstum in Deutschland bei 0,7 Prozent lag. Mitte der 60er Jahre endete der Babyboom in beiden Ländern, die Geburtenrate fiel. In Deutschland erreichte sie 1970 einen Wert von zwei Kindern pro Frau, in Frankreich erst 1974. Viele Demografen gingen damals davon aus, dass es in den darauf folgenden Jahren bei diesem Wert bleiben werde. Tatsächlich aber sank er weiter und lag 1990 bei 1,7 in Frankreich und lediglich 1,3 in Deutschland. Zum Teil lag das daran, dass Frauen in diesen Jahren ihre Kinder häufig erst viel später zur Welt brachten als die vorangegangenen Jahrgänge. Weil so die Kinderzahlen kurzfristig absanken, wurden die niedrigen Werte am Anfang oft mit diesem „Aufschub“ der Geburten begründet. Doch das stimmt nur zum Teil und trifft auch eher auf Frankreich zu: Hier wurden im Jahr 2000 wieder zwei Kinder pro Frau gezählt, in Deutschland aber lag die Geburtenrate im Jahr 2010 noch immer bei 1,4 Kindern pro Frau. Mit dem Image des vergreisenden, kinderarmen Landes darf sich daher nun Deutschland schmücken.

Stimmen die Prognosen der Vereinten Nationen, so werden die Bevölkerungen Frankreichs und Deutschlands bis 2055 auf über 70 Millionen Menschen steigen beziehungsweise sinken. Ob sich die Bevölkerungszahlen anschließend in ähnliche Richtungen bewegen oder ihre gegenläufigen Trends weiter fortsetzen werden, bleibe abzuwarten, schreibt Gilles Pison.

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