07. Mai 2018 | News | Neue Veröffentlichung

Weniger Alkohol, mehr Leben

© zimt_stern / photocase.com

Es gibt kaum Regionen in der Welt, in denen so viel Alkohol getrunken wird wie in Europa. Das gilt vor allem für osteuropäische Länder und ist hier ein wichtiger Grund für die vergleichsweise niedrige Lebenserwartung, wie eine neue Studie zeigt. Demnach verlieren Männer aus Weißrussland, Russland und der Ukraine Schätzungen zufolge etwa 2,5 bis 3,7 Jahre Lebenszeit aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum.

(Der folgende Text basiert auf der wissenschaftlichen Veröffentlichung The contribution of alcohol to the East-West life expectancy gap in Europe from 1990 onward des MPIDR-Forschers Domantas Jasilionis und wurde auf deutsch bereits mit kleinen Änderungen in der Ausgabe 1/2018 des Quarterlys "Demografische Forschung Aus Erster Hand" veröffentlicht.)

Die Lücke, die bei der durchschnittlichen Lebenserwartung zwischen West- und Osteuropa klafft, ist beträchtlich: So lebten Männer aus Westeuropa in den Jahren 2012/13 durchschnittlich rund vier bis 15 Jahre länger als Männer in ost- und mitteleuropäischen Ländern (MOE). Bei den Frauen sind die Unterschiede mit 2,5 bis 8 Jahren kleiner.

Eine neue Studie zeigt nun, dass sich sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen im Schnitt 20 Prozent dieser Unterschiede allein durch den höheren Alkoholkonsum in Mittel- und Osteuropa erklären lassen.

Wer viel und häufig zur Flasche greift, stirbt in der Regel früher – das ist bekannt. Doch Domantas Jasilionis vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, Sergi Trias-Llimós und Fanny Janssen von der Universität Groningen sowie Anton Kunst von der Universität Amsterdam konnten nun erstmals mit Hilfe verschiedener Datensätze aufzeigen, welch großen Anteil der übermäßige Alkoholkonsum an dem Ost-West-Unterschied bei der Lebenserwartung in Europa hat.

Insgesamt verglichen die Demografen Daten aus 15 EU-Ländern sowie neun zentral- und osteuropäischen Staaten. Sie nutzten für ihre Analyse Daten zur alkoholbedingten Sterblichkeit aus der Global Burden of Disease Study 2013 (GBD) sowie Daten für die durchschnittliche Lebenserwartung aus der Human Mortality Database (HMD).

Dadurch konnten die Forscher die alkoholbedingte von der übrigen Sterblichkeit trennen und ausrechnen, wie viele Lebensjahre eine Bevölkerung gewinnen würde, wenn es keine frühzeitigen Sterbefälle aufgrund von Alkoholkonsum geben würde.

Abbildung 1: Gäbe es keine alkoholbedingte Sterblichkeit in den ost- und mitteleuropäischen Ländern, so würden vor allem Männer viel Lebenszeit hinzugewinnen. Weil sich alkoholbedingte Todesfälle nicht immer ganz genau von anderen Todesursachen unterscheiden lassen, ist stets auch ein Unsicherheitsintervall für die Ergebnisse angegeben. Quelle: GBD, HMD, eigene Berechnungen.

In den ost- und zentraleuropäischen Staaten lagen diese Werte im Schnitt bei einem Jahr für Frauen und bei 2,15 Jahren für Männer (siehe Abbildung1). In Westeuropa könnten Männer circa elf und Frauen gut fünf Monate Lebenszeit gewinnen, wenn sie auf starken Alkoholkonsum verzichten würden.

Die höchsten Zugewinne wären mit 3,7 Jahren bei weißrussischen Männern möglich. Auch Russen und Ukrainer könnten fast drei bzw. zweieinhalb Jahren länger leben, wenn sie öfter auf Alkohol verzichten würden. Bei Frauen sind die Auswirkungen des Alkoholkonsums auf die Lebenserwartung geringer, mit Ausnahme von Frauen in Weißrussland, Russland und der Ukraine.

Abbildung 2: Die Lebenserwartung in Westeuropa ist sehr viel höher als in den meisten ost- und mitteleuropäischen Ländern. Wie viel Prozent dieses Unterschieds auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführen sind, zeigen die Grafiken für die verschiedenen Länder. Quelle: GBD, HMD, eigene Berechnungen.

Zwar trägt der Alkoholkonsum überall zu einer im Vergleich zum Westen schlechteren Lebenserwartung bei, der genaue Anteil unterscheidet sich jedoch erheblich zwischen den Ländern (siehe Abbildung 2). Die vier Demografen schauten sich jedoch nicht nur die aktuellsten verfügbaren Daten aus den Jahren 2012/2013 an, sondern warfen auch einen Blick in die Vergangenheit. Seit 1990 ist demnach die Bedeutung der alkoholbedingten Sterblichkeit deutlich angestiegen.

Misst man sie an den Unterschieden zur durchschnittlichen westeuropäischen Lebenserwartung, so ließen sich 1990 bei den Männern 17 Prozent dieses Unterschiedes durch übermäßigen Alkoholkonsum erklären. Bis 2005 stieg dieser Anteil auf über 25 Prozent. Bei den Frauen nahm er im gleichen Zeitraum von knapp 15 auf 22,5 Prozent zu. Danach fiel er bis 2012/13 bei beiden Geschlechtern wieder leicht auf 20 Prozent.

Untermauern lassen sich diese Zahlen auch durch Daten zum Alkoholkonsum. So stieg dieser in Russland etwa zwischen 1990 und 2006 von acht Litern reinem Alkohol pro Jahr und Kopf auf zwölf Liter. Hinzu kommt noch die Dunkelziffer des nicht erfassten Konsums, der Schätzungen zufolge in diesem Zeitraum ebenfalls anstieg. Von 2007 bis 2010 verzeichneten dagegen viele MOE-Länder einen Rückgang des Konsums um zehn Prozent und mehr.

Gelänge es, diese Entwicklung fortzuführen, so wäre damit auch eine weitere Anpassung der Lebenserwartung an das westeuropäische Niveau zu erreichen, schlussfolgern die Autoren.

Mitautor der wissenschaftlichen Studie: Domantas Jasilionis

Mehr Informationen

Originalartikel: The contribution of alcohol to the East-West life expectancy gap in Europe from 1990 onward, Trias-Llimós, S., A. E. Kunst, D. Jasilionis and F. Janssen: International Journal of Epidemiology DOI: 10.1093/ije/dyx244

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