31. Oktober 2014 | News | Neue Veröffentlichung

Keine Arbeit, keine Kinder?

© AndreasF. / photocase.com

Vor allem Männer und gut ausgebildete Frauen lassen sich, wenn sie arbeitslos sind, mit der Gründung einer Familie Zeit.

(Der folgende Text basiert auf dem Artikel "Keine Arbeit keine Kinder" der MPIDR-Forscherin Michaela Kreyenfeld und ist mit kleineren Änderungen ebenfalls erschienen in der Ausgabe 3/2014 der vierteljährlichen Reihe Demografische Forschung aus Erster Hand.)

Frühere Studien konnten nur wenige oder gar keine Belege dafür finden, dass Arbeitslosigkeit die Familienplanung beeinflusst. Eine Untersuchung des deutsch-schwedischen Forscherduos Michaela Kreyenfeld und Gunnar Andersson hat jetzt jedoch gezeigt, dass die Entscheidung für oder gegen Kinder bei Arbeitslosen stark vom Geschlecht, Alter und Bildungsstand der untersuchten Personen abhängt.

Fast alle westeuropäischen Länder haben seit Jahrzehnten mit niedrigen Geburtenraten zu kämpfen. Bekamen in den Baby-Boom-Zeiten der Sechzigerjahre Frauen im Schnitt zwei bis drei Kinder, werden in Deutschland heutzutage nur noch etwa 1,4 Kinder pro Frau geboren.

Im benachbarten Dänemark sah die Situation Anfang der Achtzigerjahre ähnlich wie in Westdeutschland aus, wo die Geburtenraten auf niedrigem Niveau lagen. Inzwischen kommen die dänischen Frauen im Schnitt wieder auf knapp 1,9 Kinder – was Soziologen unter anderem darauf zurückführen, dass sich das Land seit gut drei Jahrzehnten verstärkt darum bemüht, auch junge Mütter in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wie aber wirkt sich Arbeitslosigkeit auf die Zahl der Kinder aus, die Deutsche und Dänen heutzutage bekommen? Michaela Kreyenfeld vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock und ihr schwedischer Kollege Gunnar Andersson von der Universität Stockholm sind dieser Frage nachgegangen. In ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift Advances in Life Course Research veröffentlicht ist, formulieren die Demografen zunächst drei Hypothesen.

Erstens nehmen sie an, dass Arbeitslosigkeit insbesondere junge Frauen und Männer davon abhält, eine Familie zu gründen. Aufgrund der finanziellen Unsicherheit gehen sie zudem davon aus, dass ein fehlender Job die Wahrscheinlichkeit senkt, dass Familien ein zweites oder gar drittes Kind bekommen.

Zweitens vermuten die Forscher, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind bei arbeitslosen Frauen vom Bildungsstand abhängt: Während sich gut ausgebildete Frauen häufiger dafür entscheiden könnten, ihre Familiengründung zu verschieben, sähen arbeitslose Frauen ohne eine gute Ausbildung vielleicht gerade in ihrer Mutterrolle eine neue, sinnvolle Aufgabe. Bei Männern gehen die Demografen von einem ähnlichen, aber schwächer ausgeprägten Effekt aus.

Ihre dritte Hypothese lautet, dass die beobachteten Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Dänemark kleiner sein könnten als in Deutschland. Die Wissenschaftler wählten für ihre Studie nämlich bewusst zwei Länder aus, in denen sich das Geschlechterverhalten innerhalb der Familie stark unterscheidet. Während sich in Deutschland der Mann immer noch vielfach als Haupternährer der Familie sieht, herrscht in dänischen Haushalten häufiger eine egalitäre Arbeitsteilung.

Um ihre Hypothesen zu überprüfen, nutzten Kreyenfeld und Andersson Daten des GSOEP (German Socio-Economic Panel), einer jährlichen Befragung von mehr als 12.000 Privathaushalten in Deutschland, die den Zeitraum zwischen 1984 und 2011 umfasste. Für Dänemark werteten sie Daten des dänischen Bevölkerungsregisters aus den Jahren 1981 bis 2001 aus.

Abb. 1: Das Balkendiagramm zeigt, wie sich Arbeitslosigkeit auf die Erstgeburtenrate von Männern und Frauen unterschiedlichen Alters in Deutschland und Dänemark auswirkt. Werte unter 1 zeigen an, dass die Rate gegenüber nicht arbeitslosen Männern und Frauen verringert ist. Werte über 1 bedeuten eine erhöhte Rate. © Quellen: GSOEP 1984-2011, Dänische Registerdaten 1981-2001, eigene Berechnungen.

In Dänemark kamen im untersuchten Zeitraum 1.931.861 Kinder zur Welt. In der sozialwissenschaftlichen Befragung GSOEP sind zwischen 1984 und 2011 nur 6.142 Geburten verzeichnet. Dennoch verzichteten Kreyenfeld und Andersson darauf, die deutschen Registerdaten zu analysieren, da diese keine Angaben zur Kinderzahl der Männer enthalten und zudem nur unzureichende Informationen über den Bildungsstand beider Geschlechter liefern.

Die Ergebnisse der Forscher zeigen, dass Arbeitslosigkeit bei Männern wie erwartet dazu führt, dass diese ihre Familiengründung häufi g auf einen späteren Zeitpunkt verschieben (s. Abb. 1). Anders als die Forscher vermutet hatten,  macht sich dieser Effekt jedoch bei jüngeren Männern zwischen 20 und 28 Jahren weniger deutlich bemerkbar als bei älteren. Insgesamt ist der Einfluss der Arbeitslosigkeit auf die Familienplanung der Männer in Deutschland erwartungsgemäß größer als in Dänemark.
Bei den Frauen ergibt sich ein etwas anderes Bild. Während sich die jüngeren von ihnen in Deutschland bei ihrer Entscheidung für oder gegen das erste Kind kaum davon leiten lassen, ob sie einen Job haben oder nicht, tendieren arbeitslose junge Frauen in Dänemark vermehrt dazu, Mutter zu werden. Ab einem Alter von 29 Jahren hingegen scheint Arbeitslosigkeit die Frauen daran zu hindern, ihr erstes Kind zu bekommen. In Deutschland ist die Erstgeburtenrate arbeitsloser Frauen gegenüber den nicht arbeitslosen in dieser Altersgruppe um rund 30 Prozent reduziert.

Abb. 2: Das Balkendiagramm zeigt, wie sich Arbeitslosigkeit auf die Zweit- und Drittgeburtenrate von Männern und Frauen in Deutschland und Dänemark auswirkt. Werte unter 1 zeigen an, dass die Rate gegenüber nicht arbeitslosen Männern und Frauen verringert ist. Werte über 1 bedeuten eine erhöhte Rate. © Quellen: GSOEP 1984-2011, Dänische Registerdaten 1981-2001, eigene Berechnungen.

Geht es um die Geburt des zweiten oder dritten Kindes, ändert sich der Einfluss der Arbeitslosigkeit deutlich (s. Abb. 2). Erwartungsgemäß entscheiden sich arbeitslose Männer demnach seltener für ein zweites Kind als nicht arbeitslose. In Deutschland ist dieser Zusammenhang wie vermutet noch stärker ausgeprägt als in Dänemark. Beim dritten Kind jedoch kehrt sich der Effekt der Arbeitslosigkeit, anders als angenommen, in beiden Ländern um.

Bei den Frauen führt Arbeitslosigkeit in Deutschland vermehrt dazu, dass diese sich für ein zweites oder gar drittes Kind entscheiden. In Dänemark hingegen ist ein Einfluss der beruflichen Situation nur beim dritten Kind auszumachen. „Auffallend war, dass sich vor allem in Deutschland Mütter nach der Geburt ihres ersten Kindes vielfach aus dem Arbeitsleben zurückziehen“, sagt Kreyenfeld. Nicht die arbeitslosen Frauen hätten am häufigsten ein zweites oder drittes Kind zur Welt gebracht, sondern diejenigen, die dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stünden.

Betrachteten die Forscher den Einfluss der Bildung auf die Entscheidung arbeitsloser Menschen für oder gegen Kinder, fanden sie ihre Vermutungen weitgehend bestätigt (s. Tab. 1). So war in Dänemark in der Gruppe der 20- bis 28-Jährigen die Erstgeburtenrate arbeitsloser Frauen mit einer geringen Bildung gegenüber den Frauen, die ein ähnlich niedriges Bildungsniveau, aber einen Job hatten, um fast 50 Prozent erhöht. Bei den gut ausgebildeten Frauen senkte Arbeitslosigkeit die Erstgeburtenrate hingegen – um immerhin fast 20 Prozent.

Tab. 1: Die Tabelle zeigt, wie der Bildungsstand die Erstgeburtenrate arbeitsloser Männer und Frauen in Deutschland und Dänemark beeinflusst. Werte unter 1 zeigen an, dass die Rate gegenüber nicht arbeitslosen Männern und Frauen verringert ist. Werte über 1 bedeuten eine erhöhte Rate. Wegen der niedrigeren Fallzahlen aus Deutschland wurde dort auf eine Einteilung in verschiedene Altersgruppen verzichtet. © Quellen: GSOEP 1984-2011, Dänische Registerdaten 1981-2001, eigene Berechnungen.

Vergleichbare, wenn auch weniger deutliche Effekte machten die Forscher bei den dänischen Männern aus. Gerade bei jungen, schlecht ausgebildeten Männern ohne Arbeit sei überraschenderweise die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass diese Vater würden, berichten Kreyenfeld und Andersson.

In Deutschland stießen die Demografen bei den Frauen auf ähnliche Ergebnisse wie in Dänemark. Wegen der niedrigeren Fallzahlen verzichteten sie hier allerdings auf eine Einteilung in unterschiedliche Altersgruppen. Bei den deutschen Männern ist der Effekt der Bildung weniger stark ausgeprägt als bei den Frauen. Von der Tendenz her weist er aber in die gleiche Richtung.

Insgesamt zeige ihre Studie, dass sich Arbeitslosigkeit in zwei so unterschiedlichen Ländern wie Deutschland und Dänemark in recht ähnlicher Weise auf die Familienplanung auswirke, schreiben Kreyenfeld und Andersson.

Erwartungsgemäß würden die Menschen in beiden Ländern abhängig von ihrem Bildungsstand sehr unterschiedlich auf Situationen reagieren, in denen sie ohne Arbeit sind.

Um die sozialpolitische Bedeutung dieses Befunds zu verstehen, wünschen sich die Demografen weitere Studien, die den Lebensweg der Frauen verfolgen, die sich trotz Arbeitslosigkeit für Kinder entschieden haben. „Folgendes würden wir gerne herausfinden“, sagt Kreyenfeld: „Bekommen diese Frauen ihre Kinder, weil es für ihre berufliche Karriere ohnehin ohne Belang ist, zu welchem Zeitpunkt dies geschieht? Oder manövrieren sie sich auf diese Weise langfristig aus dem Arbeitsmarkt heraus?“

Mehr Informationen

Kreyenfeld, M., Andersson, G.: Socioeconomic differences in the unemployment and fertility nexus: evidence from Denmark and Germany.Advances in Life Course Research (2014). DOI: http://dx.doi.org/ 10.1016/j.alcr.2014.01.007

 

 

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