30. Mai 2022 | News | Interview

Warum bleibt der Gesundheitszustand der US-Bevölkerung immer weiter zurück?

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Gesundheit und Sterblichkeit der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten sind im internationalen Vergleich schlecht. Im Jahr 2010 lag die Lebenserwartung bei Geburt in den USA ein ganzes Jahr unter dem Durchschnitt der 27 EU-Länder; in den folgenden zehn Jahren hat sich dieser Rückstand auf zwei Jahre verdoppelt, und die COVID-19-Pandemie hat den Unterschied noch weiter vergrößert. Eine neue Sonderausgabe, die in den Journals of Gerontology: Series B veröffentlicht wurde, analysiert die Gründe für das schlechte Abschneiden der USA.

Herausgeber dieser Sonderausgabe sind Mikko Myrskylä vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Neil K. Mehta von der University of Texas Medical Branch und der verstorbene Robert F. Schoeni von der University of Michigan.

Professor Myrskylä, was bietet diese Sonderausgabe?

Unsere Ausgabe stellt eine aktualisierte und umfassende Analyse des schlechten Zustands der Sterblichkeit und Gesundheit der Bevölkerung in den USA zusammen; durchgeführt von einer multidisziplinären Gruppe Forschender. Die Artikel umfassen Studien über Sterblichkeit, körperliche Beeinträchtigungen und chronische Krankheiten. Sie decken verschiedene Lebensabschnitte ab, und befassen sich sowohl mit naheliegenden Ursachen als auch mit solchen, die mit sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zusammenhängen. Sie berücksichtigen auch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. In mehreren Studien wird die Rolle der Herzkreislauf- und Stoffwechsel-Gesundheit als einer der Hauptgründe für das Defizit der USA bei Lebenserwartung und Gesundheit hervorgehoben.

Worum geht es in diesen neun Studien genau?

Ein Artikel zeigt, dass sich die Sterblichkeitsrate in den USA im Vergleich zu 17 anderen Ländern mit hohem Einkommen im Laufe der Zeit verschlechtert hat. Eine andere Studie liefert eine eingehende Analyse wie sich die Verbesserung der Sterblichkeit seit 2000 in Ländern mit hohem Einkommen verlangsamt hat und eine detaillierte ursachenspezifische Trendanalyse für die USA und das Vereinigte Königreich. Diese beiden Arbeiten konzentrieren sich auf nationale Durchschnittswerte. Magali Barbieri fokussiert dagegen auf regionale Ungleichheiten. Sie verfolgt die Lebenserwartung in US-Bezirken auf der Grundlage des sozioökonomischen Status von 1982 bis 2019.

... und die anderen fünf Artikel der Sonderausgabe?

Zwei Beiträge vergleichen die Herzkreislauf- und Stoffwechsel-Gesundheit in den USA und in England. Zwei andere Studien befassen sich mit der Rolle des Einkommens bei der Gestaltung der Gesundheit. In einem weiteren Beitrag wird der Frage nachgegangen, ob der Kontext der Einkommensmobilität, dem man im frühen Leben ausgesetzt ist, das Gesundheitsverhalten und die Gesundheit im späteren Leben beeinflusst.

Was zeigen diese Beiträge der Sonderausgabe Ihrer Meinung nach?

Die Studienergebnisse geben einen detaillierten Überblick über die unzähligen Möglichkeiten, wie die Gesundheit in den USA weiterhin hinter der anderer Länder zurückbleibt. Die Studien enthalten spezifische Angaben zu Altersgruppen, Todesursachen, Risikofaktoren und Generationsmustern.

Viele Details sind nun dokumentiert, aber welche Lösungen gibt es für das Gesundheits- und Sterblichkeitsdefizit der USA?

Wir sehen, dass sowohl Gewalt als auch Drogen eine Rolle spielen. Beide Faktoren hängen sowohl mit naheliegenden Merkmalen wie die Verfügbarkeit von Schusswaffen oder Verschreibungsvorschriften von Medikamenten zusammen, als auch mit strukturellen Merkmalen in Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist wahrscheinlich, dass sie auf komplexe Weise miteinander interagieren. Einen weiteren Teil des US-Defizits erklären Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Risikofaktoren. Sie spielen wohl bei den jüngsten Trends eine wichtige Rolle. Geeignete Interventionen würden ein mehrstufiges Vorgehen im Sozial- und Gesundheitswesen erfordern. Solche umfassenden Ansätze erscheinen im derzeitigen politischen Kontext entmutigend. Die Vereinigten Staaten schneiden nicht nur im Hinblick auf die Gesundheit schlecht ab, sondern auch bei Investitionen in das Sozialwesen und beim Ausmaß der Einkommensungleichheit. Wahrscheinlich gibt es hier einen Zusammenhang.

Worauf sollte sich die Forschung in diesem Bereich in Zukunft konzentrieren?

Aktuelle Sozial- und Gesundheitspolitik spielt eine wichtige Rolle, aber Forschende beginnen gerade erst, sich mit den komplexen Auswirkungen politischer Maßnahmen auf aggregierte Messgrößen der Gesundheit der Bevölkerung zu befassen. Das ist die richtige Richtung. Systemische, soziale und politische Prozesse zu analysieren, die für die Gesundheit relevant sind, könnte zu weiteren Fortschritten dabei führen, die grundlegenden Ursachen für den Zustand der Gesundheit der Bevölkerung in den USA im Vergleich zu anderen Ländern zu verstehen.  


Die Sonderausgabe wurde herausgegeben von Mikko Myrskylä, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, Neil K. Mehta, Professor an der University of Texas Medical Branch, und Professor Robert F. Schoeni von der University of Michigan. Professor Schoeni verstarb im Oktober 2021 vor der Fertigstellung des Sonderausgabe, aber seine Rolle bei der Erstellung war entscheidend. Bob, wie er von seinen Kolleg*innen und Freund*innen genannt wurde, war ein herausragender Wissenschaftler, der zahlreiche sozialwissenschaftliche Bereiche wie Wirtschaft, Soziologie und Demografie beeinflusst hat. Eine ganze Generation von Wissenschaftler*innen hat von seinem Engagement für den Aufbau interdisziplinärer sozialwissenschaftlicher Forschungskapazitäten enorm profitiert. Die Sonderausgabe enthält eine Würdigung von Bobs Karriere und Vermächtnis, verfasst von Vicki Freedman und Linda Martin.

Originalpublikation

Mehta, N.K., Myrskylä, M.: An Introduction to the Supplemental Issue on Why Does Health in the US Continue to Lag Behind. The Journals of Gerontology: Series B Volume 77, Issue Supplement_2 (2022) DOI: 10.1093/geronb/gbac050

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MPIDR-Herausgeber der Sonderausgabe

Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock ist eines der international führenden Zentren für Bevölkerungswissenschaft. Es gehört zur Max-Planck-Gesellschaft, einer der weltweit renommiertesten Forschungsgemeinschaften.