02. März 2022 | Pressemitteilung
Forschen über Forschung: Wird Wissen aus dem Globalen Norden als universeller wahrgenommen?

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Die MPIDR-Forscher Andrés Castro und Diego Alburez-Gutierrez haben mehr als 560.000 Datensätze von englischsprachigen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus der bibliometrischen Datenbank Scopus analysiert. Sie stellen fest, dass sozialwissenschaftliche Studien, die sich mit Ländern des Globalen Nordens befassen, viel seltener ihren geografischen Schwerpunkt im Titel nennen als Studien, die sich auf den Globalen Süden konzentrieren.
„Wir interpretieren dieses Ergebnis im Zusammenhang mit bestehenden Ungleichheiten in der Wissensproduktion“, sagt Andrés Castro, bis vor kurzem Forscher am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR). Sein MPIDR-Kollege Diego Alburez-Gutierrez fügt hinzu: „Wir argumentieren, dass dies eine Logik des Eurozentrismus widerspiegelt, nach der Wissen, das im oder über den Globalen Norden produziert wird, als ‚universal‘ oder ‚verallgemeinerbar‘ angesehen wird, während Wissen über den Globalen Süden ‚spezifisch‘ und ‚lokalisiert‘ ist.“
Die beiden Forschenden stellen fest, dass sozialwissenschaftliche Studien, die sich mit Ländern des Globalen Nordens befassen, viel seltener ihren geografischen Schwerpunkt im Titel oder in der Zusammenfassungen angeben als Studien, die sich auf den Globalen Süden konzentrieren. Dies gilt für alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen; obwohl der Anteil von Publikationen, die ein Land im Titel nennen, je nach Disziplin schwankt: In der Psychologie ist er zum Beispiel gering, in der Demografie dagegen recht hoch.
Für ihre Analyse verwendeten die Forschenden bibliometrische Daten aus der Online-Publikationsdatenbank Scopus. Sie schlossen Veröffentlichungen wie Leitartikel oder Buchbesprechungen ohne empirische Komponente aus und konzentrierten sich auf Studien mit einer Zusammenfassung, die einer der 27 verfügbaren sozialwissenschaftlichen Kategorien zugeordnet waren. Daraus ergab sich eine Stichprobe von mehr als 560.000 englischsprachiger, wissenschaftlicher Publikationen. Um aus diesen Datensätzen Ländernamen zu ziehen, verwendeten die Forschenden Algorithmen. Diese erkannten, ob ein Titel oder eine Zusammenfassung einen oder mehrere englische Ländernamen enthält, einschließlich Abkürzungen, alternativen Schreibweisen wie „U.S.A.“ oder Demonymen wie „Colombian“. Die Studie wurde nun in der renommierten Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

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„Die meisten Ungleichheiten in sozialwissenschaftlichen Publikationen bleiben weitgehend unentdeckt“, sagt Diego Alburez-Gutierrez. Deshalb wollten die Forschenden messen, wie groß das Ausmaß dieser Ungleichheiten ist.
„Wir ermutigen Autor*innen, Herausgeber*innen von Zeitschriften und Mentor*innen in den Sozialwissenschaften, unsere Ergebnisse zu berücksichtigen. Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, sehe ich die Inklusion bedroht, die ja eine Säule der Wissenschaft geworden ist“, sagt Andrés Castro.
Originalpublikation
Castro Torres, A.F., Alburez-Gutierrez, D.: North and South: Naming practices and the hidden dimension of global disparities in knowledge production. PNAS (2022). DOI: 10.1073/pnas.2119373119
Autoren und Institutionen
Andrés F. Castro Torres, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock
Diego Alburez-Gutierrez, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock