17. Juli 2013 | News | Neue Publikation

Erstmals höhere Lebenserwartung in Ostdeutschland

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Westdeutsche Frauen mittleren Alters rauchen mehr und sterben früher

(Der folgende Text basiert auf dem Artikel "Reversing East-West mortality difference among German women, and the role of smoking. International Journal of Epidemiology 42(2013)2, 549-558." der MPIDR-Forscher Mikko Myrskylä und Rembrandt Scholz und ist mit kleineren Änderungen ebenfalls erschienen in der Ausgabe 02/2013 der vierteljährlichen Reihe Demografische Forschung aus Erster Hand.)

Im Jahr 1989 waren die Unterschiede noch sehr deutlich: Wer im Westen beheimatet war, hatte im Schnitt zweieinhalb Jahre länger zu leben. Doch die Ostdeutschen holten in den vergangenen Jahrzehnten kräftig auf. Frauen zwischen 50 und 64 Jahren konnten sogar erstmals eine geringere Sterblichkeit verbuchen als ihre westdeutschen Altersgenossinnen.

Ein überraschendes Ergebnis, das Rembrandt Scholz und Mikko Myrskylä vom Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung in einer aktuellen Studie prä­sentieren (vgl. Abb. 1).

Denn es stellt eine gängige Inter­pretation der Sterberaten in Frage: Bisher war man davon ausgegangen, dass es vor allem die besseren sozialen, ökonomischen und medizinischen Bedingungen nach der Wende waren, die den Rückgang der Sterberaten in Ostdeutschland vorantrieben. Vor diesem Hintergrund wurde die Wiedervereinigung bislang in der Forschung oft als ein „natürliches Experiment“ betrachtet, das aufzeigt, in welchem Maße die Lebenserwartung durch die medizinische Versorgung, den Lebensstandard, die psychosoziale Stressbelastung und die Gesundheitsvor­sorge beeinflusst wird. Als alleinige Erklärung für den Rückgang der Sterberaten im Osten aber kommen diese vier Faktoren, die bisher als maßgeblich ausgemacht worden waren, nun nicht mehr in Frage. Denn in allen vier Bereichen sind die Bedingungen im Westen – aller Angleichung zum Trotz – noch immer besser als im Osten. Sie können daher auch nur die Annäherung der Sterberaten erklären. Eine Umkehr der Verhältnisse, wie sie die beiden Forscher nun bei Frauen mittleren Alters nachgewiesen haben, muss dagegen noch eine andere Ursache haben.

Scholz und Myrskylä gehen daher nun einem anderen Umstand nach, der von der Wiedervereinigung vollkommen losgelöst ist: das Rauchverhalten. Obwohl bekannt ist, dass der Nikotinkonsum bei nationalen und internationalen Vergleichen oft als einer der Kernfaktoren für unterschiedliche Sterberaten ausgemacht worden ist, wurde er bei den Ost-West-Vergleichen in Deutschland bisher ausgeklammert.

Wie Scholz und Myrskylä anhand einer detaillierten regionalen Analyse von Todesursachen und Sterberaten in der Zeit von 1992 bis 2009 nachweisen konnten, sind es tatsächlich die Unterschiede im Raucherverhalten, die zu einer höheren Lebenserwartung unter ostdeutschen Frauen führt. In den Jahrgängen von 1946 bis 1950 etwa rauchen fast 44% der westdeutschen Frauen. Im Osten sind es dagegen lediglich knapp 30%. Das Resul­tat dieser Zahlen lässt sich freilich erst feststellen, wenn diese Jahrgänge in ein reiferes Alter kommen, in dem sich die Folgen des Rauchens bemerkbar machen: So waren 2005 bis 2009 ein Viertel aller Sterbefälle bei den 50- bis 64-Jährigen im Westen auf das Rauchen zurückzuführen, im Osten waren es lediglich 12 bis 14 Prozent. Um die Sterbefälle zu identifizieren, die auf den Nikotinkonsum zurückzuführen sind, verwendeten die Demografen eine gängige Methode, welche die Zahlen für Lungenkrebs-tote als Indikator für die Rauchersterblichkeit verwendet. Wird dieser Anteil von den Sterberaten abgezogen, ver­schwindet der Vorteil für ostdeutsche Frauen (s. Abb.2). Denn rund ein Drittel der Anpassung bei den 50 bis 64-Jährigen ist auf das Rauchverhalten zurückzuführen.
 

Die relative Sterberate Ost/West ist seit Anfang der neunziger Jahre in allen Altersgruppen gesunken. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind demnach überall zurückgegangen. Denn je größer der Wert ist, desto höher sind auch die Sterberaten im Osten verglichen mit den Sterberaten des Westens. Es zeigt sich, dass der Rückgang der Unterschiede bei Frauen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren zu großen Teilen auf Unterschiede bei der Rauchersterblichkeit zurückzuführen ist. Quelle: eigene Berechnungen nach Daten der amtlichen Statistik des Bundes und der Länder (FDZ, ohne Berlin).

Bei den älteren Frauen dagegen, zeigen sich keine so großen Auswirkungen, weil das Rauchverhalten in West und Ost nicht ganz so stark voneinander abwich. Die 65- bis 69-jährigen ostdeutschen Frauen liegen dank ihres geringeren Nikotinkonsums immerhin noch mit ihren Altersgenossinnen im Westen gleichauf. In den höheren Jahrgängen nimmt dieser Effekt jedoch immer stärker ab (vgl. Tab. 1). Bei den unter 50- und über 90-Jährigen ist die Auswirkung des Rauchverhaltens auf die Sterblich­keit noch beziehungsweise schon wieder so gering, dass diese Altersgruppen in der Studie nicht berücksichtigt wurden.

Durchaus spannend aber könnte ein Ausblick auf die jüngeren Jahrgänge sein: Frauen, die in den 60er oder 70er Jahren geboren wurden, erreichen in den kommen­den Jahren ein Alter, in dem sich der Nikotinkonsum auch auf die Sterberaten auswirkt. Dann, so vermuten Rem­brandt Scholz und Mikko Myrskylä könnte sich der Trend durchaus wieder umdrehen. Denn zumindest rauchen derzeit ostdeutsche Frauen mehr als westdeutsche. 

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