30. August 2021 | Pressemitteilung

Gesundheitszustand von Jugendlichen unterscheidet sich in jeder Migrationsgeneration

In der Studie konzentrierten sich die Forschenden auf Jugendliche in Finnland. © iStockphoto.com/FatCamera

Jugendliche mit einem einheimischen und einem eingewanderten Elternteil haben ein erhöhtes Risiko, medizinische Behandlung zu benötigen. Das gilt vor allem für psychische Erkrankungen im Vergleich zu Jugendlichen, deren Eltern beide eingewandert oder, deren Eltern beide einheimisch sind. Das ergab eine neue Studie von MPIDR-Forscherin Silvia Loi und Kollegen, die finnische Registerdaten ausgewertet hat.

In der demografischen Forschung ist bekannt, dass Migrant*innen tendenziell einen besseren Gesundheitszustand haben als ihre einheimischen Altersgenossen. Dieser Vorteil in Sachen Gesundheit geht aber über die nachfolgenden Generationen verloren – der Gesundheitszustand gleicht sich an die einheimische Bevölkerung an, wird schlechter. Wie es um eingewanderte Jugendliche oder Teenager mit eingewanderten Eltern oder Jugendliche mit einem eingewanderten und einem einheimischen Elternteil steht und welche Rolle sie bei dem Prozess der Angleichung spielen, war bisher kaum bekannt.

„Unsere Studie zeigt die Rolle von bi-nationalen Familien im Zusammenhang mit gesundheitlichen Unterschieden verschiedener Einwanderergenerationen auf und liefert erstmals Daten dazu“, sagt Silvia Loi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock. Um diese Wissenslücke zu schließen, konzentrierten sich die Forschenden in ihrer Studie auf Jugendliche in Finnland, da dort die Datenlage für die Auswertung gut ist. 

Familiäre Situation erklärt nur teilweise das höhere Risiko eine medizinische Behandlung zu benötigen

Das Forscherteam nutzte Längsschnittdaten aus finnischen Registern von allen Kindern, die zwischen 1986 und 2000 geboren wurden und in Finnland lebten. Das Team schätzte dann das Risiko für diese Kinder ab, stationäre und ambulante medizinische Versorgung für somatische Erkrankungen, psychopathologische Störungen und körperliche Verletzungen zu erhalten und unterschieden dabei nach Einwanderergenerationen.

Es zeigte sich, dass Jugendliche der ersten Generation (im Ausland geboren und nach Finnland eingewandert) ein geringeres Risiko haben, wegen allen drei in der Studie untersuchten Krankheiten behandelt zu werden, als einheimische Jugendliche (in Finnland von finnischen Eltern geboren).

Jugendliche der zweiten Generation (als Kinder einer Einwandererfamilie geboren) haben dagegen verglichen mit einheimischen Jugendlichen nur noch ein geringeres Risiko, wegen psychopathologischer Störungen behandelt zu werden. Sie haben jedoch ein ähnliches hohes Risiko, wegen somatischer Erkrankungen und körperlicher Verletzungen behandelt zu werden, wie einheimische Jugendliche.

Jugendliche mit einem einheimischen und einem eingewanderten Elternteil haben, verglichen mit einheimischen Jugendlichen ein höheres Risiko, wegen allen drei in der Studie untersuchten Krankheiten behandelt zu werden. Besonders hoch ist ihr Risiko eine psychopathologische Störung zu entwickeln und dagegen behandelt zu werden. Dieses höhere Risiko wird nur teilweise durch die familiäre Situation erklärt, wie etwa durch das Bildungsniveau der Mutter, das Familieneinkommen oder die Stabilität in der Familie. Diese Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Demography veröffentlicht.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Jugendliche mit einem eingewanderten und einem einheimischen Elternteil eine spezifische Risikogruppe darstellen“, sagt Silvia Loi. Die Ergebnisse für die drei untersuchten Krankheiten zeigen auch einige Unterschiede im Bezug auf den Gesundheitszustand der Jugendlichen. So sind etwa bei somatischen Erkrankungen und körperlichen Verletzungen die Unterschiede zwischen Jugendlichen verschiedener Einwanderergenerationen und Einheimischen weniger deutlich als bei psychopathologischen Störungen, unter denen migrantische Jugendliche besonders leiden.

Der Einfluss von Stress-Situationen

Was die Gründe für die Unterschiede im Gesundheitszustand verschiedener migrantischer Generationen betrifft, fand das Forscherteam heraus, dass sie nur zu einem geringen Teil auf Stresssituationen zurückzuführen sind, die Kinder aus Einwandererfamilien im Laufe ihres Lebens erfahren haben; allerdings bleiben viele Einflussfaktoren noch ungeklärt.

Es zeigte sich, dass auf die soziale und wirtschaftliche Situation der Familie nur ein kleiner Teil der beobachteten Benachteiligung zurückzuführen ist. Dagegen scheint der breitere soziale Kontext im jeweiligen Land wichtiger zu sein. „Jugendliche mit einem einheimischen und einem eingewanderten Elternteil sehen sich möglicherweise Integrationshindernissen ausgesetzt, die dazu führen, dass sie psychopathologische Probleme entwickeln“, sagt Silvia Loi. Allerdings könnten auch bestimmte Merkmale der Familien Einfluss haben, die das Forscherteam mit den vorliegenden Daten nicht überprüfen konnte.

Die gesundheitliche Situation von migrantischen Kindern und Jugendlichen zu verbessern, sei ein wichtiges politisches Ziel. Silvia Loi fügt hinzu: dies sei wichtig, da der Gesundheitszustand dieser Kinder und Jugendlichen wohl auch die späteren Lebensumstände beeinflusst, wie etwa ihren Erfolg in der Schule und ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt sowie am sozialen Leben.   

Originalpublikation

Loi, S., Pitkänen, J., Moustgaard, H., Myrskylä, M., Martikainen, P.: Health of immigrant children: The role of immigrant generation, exogamous family setting, and family material and social resources. Demography (2021). DOI: 10.1215/00703370-9411326

Autor*innen und Institutionen

Silvia Loi, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

Joonas Pitkänen, Population Research Unit, Universität Helsinki

Heta Moustgaard, Population Research Unit, Universität Helsinki

Mikko Myrskylä, Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock; Center for Social Data Science, University of Helsinki, Helsinki, Finland

Pekka Martikainen, Population Research Unit, University of Helsinki, Helsinki, Finland; Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock

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